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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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bist derjenige, der sich und seine Wünsche beherrschen sollte! Habe ich in den fünfzehn Jahren nicht genug darunter gelitten?«
    Er hat sie in ihrem Zorn immer schön gefunden, und sogar jetzt, als ihn das, was sie sagt, beleidigt und verletzt, sehnt er sich danach, sie einfach zu nehmen, ihr die Schenkel zu spreizen und zu zeigen, daß er für immer und ewig stärker als sie sein wird und seine Bedürfnisse als Mann für immer und ewig ihre Befriedigung in ihrem Körper finden werden.
    Er versucht ihr die Bettücher zu entreißen. Mit der anderen Hand forscht er unter ihnen, findet ihr Bein und schiebt seine Finger langsam nach oben. Er merkt, daß bei diesem Kampf mit ihr schon die Träume von Bror verblassen und der Trost, den er suchte, sich bereits einzustellen beginnt.
    Er flüstert ihren Namen: »Kirsten … Mäuschen …«
    Und dann schlägt sie ihn. Sie schlägt ihn mit der geballten Faust auf den Kopf, direkt über dem Ohr. Er starrt sie an. Während sie ihn auf den Schädel schlägt, findet in ihrem Gesicht eine Verwandlung statt, die er sich nie hätte vorstellen können. Ihr steht der Mund offen, ihre Wangen sind zu fett, ihr Atem stinkt nach Käse, ihre Stirn ist zu hoch, zu weiß und zu vollgestopft mit ihrer Bosheit.
    König Christian weicht zurück. Er läßt ihr Bein los und ist sich dabei darüber im klaren, daß seine Hand nie wieder den Weg zu diesem intimen Ort finden wird, der ihn so viele Jahre gequält hat. Sie ist häßlich und verräterisch, ihr Körper trägt ein deutsches Kind, und er kann sie nicht mehr ertragen.
    Er zieht sie grob auf die Füße. Sie kreischt nach Emilia, die mit ihren kleinen Fäusten gegen die Zimmertür hämmert. »Kirsten«, sagt er, »pack deine Sachen! Du gehst! Du verläßt Kopenhagen, und ich schwöre bei den Seelen meiner Kinder, daß ich dich nie wieder zurückkehren lasse!«
    Da ist sie plötzlich still. Naß und dümmlich hängen ihr die Mundwinkel herunter. Er weiß, daß sie eine Sekunde lang erwägt, ihn anzuflehen, erwägt, die Frau zu werden, die sie von einem Augenblick zum anderen sein kann – eine sanfte und verführerische, die ihn um den Finger wickelt und mit ihren honigsüßen Worten benebelt –, doch dann entscheidet sie sich dagegen. Stolz wendet sie den Kopf zur Seite. Sie begreift, daß die Zeit für Spiele und Strategien vorbei ist. Alles, was zwischen ihnen gewesen ist, ist vorüber. Es ist der endgültige Tod ihrer toten Liebe, und ihr bleibt nichts weiter zu tun, als ihre wenigen wertvollen Habseligkeiten zu nehmen und zu gehen.

    König Christian weckt die Diener und begibt sich mit ihnen in den Hof hinunter. Als er gerade die Stallburschen und Kutscher wecken will, um zwei Kutschen bereitzustellen, eine für Kirsten und eine für ihre Frauen, sieht er in einer Ecke des Hofs einen großen Planwagen stehen, einen von der Art, wie ihn Händler und Bauern für den Transport von Waren und Arbeiter auf dem Feld verwenden.
    »Was für ein Wagen ist das?« fragt er, und man sagt ihm, er gehöre dem Fischhändler, einem gewissen Herrn Skalling, der öfters bei einem der Zimmermädchen die Nacht verbringe. Und Christian stellt sich diesen Mann, der genauso für seinen Spaß nach Rosenborg kommt, wie Graf Otto Ludwig von Salm schamlos in Kirstens Bett kam, nackt mit dem Mädchen vor und fühlt seinen Zorn und Abscheu stärker werden.
    Er erteilt den Befehl, den Fischwagen zu beschlagnahmen und nach »vier nicht zusammenpassenden Kleppern« zu suchen, um ihn zu ziehen. Kirsten soll in Schande, in einem nach Fisch riechenden Wagen fortgeschickt werden. Und das wird dann sein letzter Anblick von ihr sein, wie der Wagen fortgezogen wird, über die Steinplatten schwankt und rattert und es langsam hell wird über der demütigenden Fahrt.
    Sich ankleidend, taumeln die Stallburschen auf das Kopfsteinpflaster. Pferde werden herausgeführt und getränkt, und als der Tumult stärker wird, gehen in den Räumen über den Ställen Lampen an und tauchen Köpfe in den Fenstern auf.
    Einer der Zuschauer ist Peter Claire. Er sieht den König umringt von Dienern, die Lampen umklammern, mitten im Hof stehen und brüllen, man solle die vier Pferde von »viererlei Farbe« vor den Wagen spannen. Er hört die Wut in der Stimme des Königs und weiß, daß etwas Unerwartetes und Schreckliches im Gange ist. Er kleidet sich rasch an und kommt in den Hof, als gerade die Pferde zu den Deichseln eines klapprigen Gefährts geführt werden: ein Brauner, ein Schecke, ein

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