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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Peter Claire und Emilia Tilsen – die in ihren getrennten Zimmern den ganzen Sommer über geträumt haben – treffen sich nun schließlich als Liebende, und als sie spürt, wie er den Arm um ihre Taille legt und sie an sich zieht, weiß sie, daß er sie küssen und sie sich nicht wehren wird.
    Seine Lippen sind trocken und so heiß wie die glänzende Haut seines Gesichts. Und als sie die ihren berühren, fällt sie in den Kuß wie in einen Schlaf, aus dem sie am liebsten nicht mehr aufwachen, sondern nur noch immer tiefer in dessen Ruhe fallen würde. Der Lautenist versteht, daß es das ist, was sie will, nicht einen zärtlichen Kuß, nicht eine liebe Zärtlichkeit, sondern einen alles verzehrenden Kuß, der das Ende all dessen, was gewesen ist, und den Beginn all dessen, was noch kommen wird, kennzeichnet.
    Als sie sich von ihm löst und ihm ins Gesicht blickt, fallen ihm die Worte ganz leicht, so leicht, als wären sie schon halb geäußert und hätten nur noch der Wärme ihres Körpers an seinem bedurft, um herauszukommen. Er bittet Emilia, seine Frau zu werden. Er sagt, sie sei die Frau, nach der er gesucht habe, und er könne sich keine Zukunft vorstellen, in der sie keine Rolle spiele. Seine Erklärung ist von einer solchen Leidenschaft, daß sie diese wie ein Magnet wieder zu ihm hinzieht, zu dem wonnigen Schlaf des Kusses, und erst danach, als der Atem und das Licht wiederkehren, sagt sie, ohne zu zögern: »Ja!«
    Dann stehen sie einfach voreinander, sehen sich an und fragen sich, ob sie sich jetzt wie Adam und Eva fühlen, als diese sich im Paradies wähnten und wußten, daß Mann und Frau unter allen Wundern, die Gott erschaffen hatte, die herausragendsten waren. Sie spüren nicht den kühlen Schauder des Herbstes in der Luft. Nur entfernt sind sie sich des leuchtenden Himmels und der weißen Tauben bewußt. Einer der goldenen Fasane stößt einen gereizten heiseren Schrei aus (als meine er, daß er in seiner Pracht der Gegenstand ihres Entzückens sein sollte), doch sie beachten ihn nicht. Sie sehen sich jetzt allem, wonach sie sich den ganzen Sommer über gesehnt haben, von Angesicht zu Angesicht gegenüber und verhalten sich ganz still, als befänden sie sich in einer Trance und könnten für immer so dastehen.

DER WAGEN DES FISCHHÄNDLERS
    In der Nacht nach dem Treffen Peter Claires mit Emilia träumt König Christian vom Tod Bror Brorsons.
    Dieser Traum, den er jedes Jahr drei- oder viermal hat, erfüllt ihn immer mit einem derartigen Entsetzen, daß er fast nicht mehr atmen kann. Er muß dann aufstehen, die Lampen anzünden und das Fenster öffnen, um die Nachtluft hereinzulassen, und nach einer Weile beginnen die Gefühle der Furcht und des Widerwillens zu verschwinden.
    Nicht jedoch in dieser Nacht.
    Christian sitzt unbeweglich im Schein einer Kerze. Ein Fenster ist offen, und er lauscht auf Geräusche aus dem dunklen Park – von einem Nachtvogel oder Windhauch, der die Bäume bewegt –, um ihn zur Normalität und zum gesunden Verstand zurückzubringen. Es ist jedoch still in der Nacht. Es ist fast so, als gäbe es keine Nacht, keinen Park, keine Bäume und keinen Himmel, der langsam heller wird, sondern nur die Andeutung einer absoluten Dunkelheit, die von der Zeit Besitz ergreift und ihn immer tiefer in sich hineinzieht.
    Er wünschte, er wäre noch ein Knabe. Er wünschte, er würde mit Bror durch die Wälder von Frederiksborg reiten. Er wünschte, er würde nicht gerade in dieser Zeit leben.
    Es vergeht eine Stunde. Noch immer erfüllt ihn das Bild des sterbenden Bror mit Entsetzen. Er überlegt, ob er nach Peter Claire schicken und sehen soll, ob ihn Musik trösten kann, doch in dieser Nacht ist es nicht Musik, was er will. Er will Kirsten. Er möchte so wie früher bei ihr liegen und ihr Lachen hören, wenn er sie seine Maus nennt. Er will, daß sie nett zu ihm ist, ihn auf den Kopf küßt und ihm sagt, daß sie ihn liebt.
    Er steht auf. Er weiß, daß sie ihn nicht liebt. Er weiß, daß das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, das ihres deutschen Geliebten ist. Diese Dinge ruhen in seinem Herzen, warten darauf, es zu übermannen, warten auf den Augenblick, in dem es sagt: »Genug!« Dennoch sind jetzt, als der Sommer in den Herbst übergeht, das Kind des Grafen in ihrem Leib heranwächst und die Aussicht auf einen neuen Winter sich vor ihnen allen auftut, seine alten Sehnsüchte nach ihr stets bei ihm, als habe sein Körper noch nicht verstanden, was sein Kopf versteht. Und in dieser

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