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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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erwerben kann und Walkörper in so viele verschiedene Bedarfsgüter umgewandelt werden können, daß sie die Wirtschaft des Staates retten könnten.
    Ihm fällt ein, daß in Kopenhagen drei Walfangschiffe im Bau waren, die Arbeit an ihnen aber nun verlangsamt oder ganz beendet worden ist, weil es am Geld für die Ausstattung und die Bezahlung der Schiffsbauer fehlt. Der König flucht, zieht an seiner langen Locke, geht zu seinem Nachtstuhl und versucht sich zu entleeren, als könne dies seine Herzensqual verringern.
    Wie er so dasitzt, dem Weinen nahe durch den Schmerz seiner Anstrengungen, stellt er sich vor, wie die Wale von der Nordsee aus leise in den Gewässern des Skagerraks eintreffen und von den Schweden geschlachtet und zu schwedischer Seife und Kerzen, zu schwedischen Spazierstöcken und Korsetts verarbeitet werden. Und er verflucht diese herumstolzierenden Schweden in ihrem Walfischknochenstaat. Er schickt sie zur Hölle, wo sie bis in alle Ewigkeit schmoren sollen.
    Als der Stuhl raus ist, beschließt er, die dänischen Walfänger fertigzustellen und auslaufen zu lassen, damit die Wale zu Dänemarks Rettung kommen, weil bald etwas geschehen, es Erleichterung geben muß, das Leben nicht mehr wie in diesem Jahr weitergehen kann …
    König Christian geht in die Schatzkammer mit dem Tafelgold und -silber. Aus den Schränkchen und Vitrinen holt er große Mengen königlicher Geschenke heraus, die vom Krönungstag und seiner Hochzeit mit Anna Katharina von Brandenburg stammen. Er legt sie übereinander auf den Boden: silberne Suppenterrinen, Samoware, Abgußschalen und Fischplatten, goldene Pokale, Kelche, Tafelteller, Weinkühler und Krüge. Die Haufen schwanken und klirren. Platten, gegen die er aus Versehen gestoßen ist, kreisen auf dem Boden. Christian sieht in ihnen nicht mehr Gegenstände, die einen Nutzen oder eine Funktion haben, sondern nur noch eine Währung.
    Diener, die den Lärm gehört haben und glauben, es seien Diebe im Schloß, kommen in die Schatzkammer gerannt. Einer von ihnen richtet eine Muskete auf den König, der einen Brokatumhang trägt und barfuß ist. Als der König das Gewehr über dem Chaos des Silbers auf sich zeigen sieht, wirft er die Arme ausgebreitet in den Himmel, wie der Gott früherer Zeiten oder wie Moses auf dem Berg, und brüllt. Die Worte schießen wie Kanonenfeuer aus ihm heraus. Dänemark, bellt er, versinkt im Meer und er, sein König, geht mit unter, fällt so tief in ein stygisches Leiden, daß er das Gefühl hat, nie wieder ans Licht zu kommen. Und warum rettet ihn und ihr kostbares Land niemand? Warum wird er fortwährend verraten und im Stich gelassen? Was ist das für ein Klima der Verderbtheit im Staat, wenn die Frau des Königs mit einem deutschen Söldner Verrat begeht? Warum versteht niemand außer ihm, daß der Mensch in all seinem Handeln nicht mehr von Ehre, sondern nur noch von Gier und Gelüsten geleitet wird? Und wie oft muß er das alles noch sagen, damit man ihm auch nur zuhört?
    Die Muskete wird gesenkt, und die Diener stehen mit offenem Mund da. Sie befürchten, von dieser Wortsalve getötet zu werden, daß ihre Herzen zu schlagen aufhören und sie diese Kammer vielleicht nicht mehr lebend verlassen.
    »Hebt das Silber auf!« befiehlt der König. »Bringt es zur Münze, und laßt alles einschmelzen! Daraus sollen Daler geprägt werden – so viele, wie man aus diesem Tafelgeschirr-Kontingent nur erzielen kann. Und ich mache mich selbst mit dem Geld zu den Schiffsbauern auf den Weg. Wenn jemand auch nur einen Teelöffel davon stiehlt, wird er erhängt!«
    Danach geht König Christian in seine Gemächer und versucht zu berechnen, wieviel Geld aus dem Tafelsilber gewonnen werden und wie viele Wale es an die Küste Dänemarks bringen könnte. Über seinen komplizierten Rechenkolonnen ruft er diesen Tieren zu, die weder Fische noch Landtiere, sondern etwas anderes sind, etwas, das in der Kälte und Dunkelheit leben und dennoch Springbrunnen auf der Meeresoberfläche hervorrufen kann: »Kommt zu mir! Rettet mein Königreich!«
    Doch dann ist da noch die Frage der Herstellung. Wissen denn die dänischen Handwerker, wie man aus Fischbein Korsette und Reifröcke anfertigt? Würden sie ordentliche oder bloß schludrige fabrizieren? Könnte man diese Kleidungsstücke in Paris und Amsterdam verkaufen, oder würden sich die Franzosen und Niederländer darüber lustig machen, so daß das Echo ihres Spotts und Tratsches über ganz Europa schallen würde? Ma

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