Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
dort, daß die Frau des Königs ein Bett und eine Hebamme braucht!«
Mikkel rührt sich nicht. Der Regen tropft ihm in die Augen, und er wischt ihn nicht weg.
Zeig Mut, Emilia.
»Mikkel«, wiederholt sie. »Geht jetzt sofort! Bittet darum, daß ein Bett gerichtet und eine Hebamme gerufen wird!«
Endlich geht er. Er geht, ohne ein Wort zu sagen, hält sich nur den Rücken, der ihm weh zu tun scheint. Als er an der Tür eines der Häuschen ankommt, nimmt er den Hut vom Kopf und schüttelt den Regen ab.
Der Raum ist niedrig und dunkel und nur von einem rauchigen Feuer erhellt.
Das Bett, auf dem Kirsten liegt, ist eigentlich gar keins, sondern eine Konstruktion aus zusammengebundenen Heuballen, über die ein Leintuch gelegt worden ist. Als Kopfkissen hat sie ein mit Stroh gefülltes Polster. »Immer wenn ich den Hals bewege«, flüstert Kirsten Emilia zu, »höre ich es knirschen. Könntest du einmal nachsehen, meine Liebe, ob da nicht eine Maus, Fledermaus oder sonst etwas an meinem Haar nagt?«
Emilia beruhigt sie und glättet das klumpige Kissen, so gut es geht. Als der Schmerz erneut einsetzt, umklammert Kirsten Emilias Hand, und ihr Gesicht verzerrt sich wie in der Kutsche. Doch zwischen den Wehen wird sie wieder sie selbst, also unerschrocken, fast munter, als kehre jetzt, da sie mit dem Baby niederkommt, ihr Optimismus zurück.
Kirsten setzt sich auf und schaut sich im Zimmer um. In einem Topf auf dem Feuer siedet Wasser. Die Bäuerin, der das Häuschen gehört, ist damit beschäftigt, ein weißes Tuch in Streifen zu reißen, und fuhrwerkt mit ein paar Winterwurzeln für einen Teeaufguß herum. Kirsten entschuldigt sich bei der Frau mehrmals dafür, daß sie ihre morgendlichen Verrichtungen unterbricht, und versichert ihr, sie habe alle ihre Kinder »im Handumdrehen geboren, so daß ich Euch nicht sehr lange Umstände machen werde«.
Die Frau ist alt und hat milchige Augen. »Das Kind des Königs!« meint sie. »Meine Dame, ich hätte mir nicht träumen lassen, daß das Kind des Königs an einem solchen Ort zur Welt …«
Kirsten lächelt sie an. Sie weiß, daß genau das der Grund dafür ist, daß sie keine Angst hat. Sie hat keine Angst, weil es eben nicht das Kind des Königs ist, sondern das ihres Geliebten, ihm ähnlich sehen und rasch geboren werden wird, mit der Flut des Begehrens. Ja, sie ist ganz aufgeregt und voller Ungeduld, es zu sehen, und spricht mit ihm, während sie schwitzt und sich abmüht: »Komm, mein kleiner Otto! Schwimm aus mir heraus! Schwimm in meine Arme!«
Ihr wird der Wurzeltee gebracht, der sie bis zu den Fußspitzen zu wärmen scheint. »Emilia!« ruft sie. »Dieser Tee ist ein richtiges Wunder! Schreib dir das Rezept auf, dann machen wir ihn auch auf Boller!«
Kirstens Haar löst sich auf dem Strohpolster auf, befreit sich aus den Nadeln und Klemmen, bis es wie wirrer Goldfaden um ihr Gesicht gebauscht ist. Emilia sieht sie an und ist wieder einmal von ihrer Großartigkeit beeindruckt. Sie beschließt, künftig mehr Mut und Durchhaltevermögen zu zeigen. Karen und Kirsten – zwei so unterschiedliche Frauen –, aus deren Worten und Beispiel sie viel gelernt hat. Sie wird sie nicht verraten.
Nun versucht Kirsten, sie wegen Marcus zu beruhigen, sagt ihr, daß sie nicht vergeblich gefahren sind und wiederkommen werden, »nichts, was dir lieb und teuer ist, ist vergessen worden, und Marcus muß es nur ein bißchen länger aushalten, das ist alles, nur ein bißchen länger …«.
In diesem Augenblick trifft die Hebamme ein. Sie ist füllig und hat rosige Wangen, ihr Kragen und ihre Manschetten sind gestärkt und vom Regen nur ein wenig feucht. Sie knickst vor Kirsten und geht dann ohne viel Federlesens zum unteren Ende des Heuballenbetts, packt Kirstens Knöchel und spreizt ihr die Beine. Sie beugt sich hinunter, und ihr Kopf verschwindet unter Kirstens Röcken, wo sie einen kurzen Blick auf den Geburtsausgang wirft, dann ihre Hand voll hineinsteckt, so daß Kirsten aufschreit, sowohl vor Schmerz als auch vor Sehnsucht, ihren Geliebten noch einmal an dieser Stelle zu empfangen.
Die Hebamme mißt mit ihren geübten Fingern aus, wie sehr der Muttermund schon geöffnet ist. Sie stellt fest, daß er weit offen ist und kann spüren, wie der Kopf des Kindes darauf drückt, bereit, geboren zu werden. Sie kommt wieder unter den Röcken hervor und schiebt sie hoch, und Kirstens nackte Beine treten und stoßen, als der Schmerz wieder einsetzt.
Die Bäuerin bringt die Lappen und
Weitere Kostenlose Bücher