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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Verstand eines Menschen selbst – indem sich die Gedanken immer wieder um das drehen, was ihm Schmerz bereitet. Ich denke, das meinte der arme Bror: daß Kirsten für mich tot ist, weil ich nie wieder bei ihr liegen und sie nie wieder lieben werde, diesen Tod aber auf eine Art, die ich nicht voraussehen kann, ein zweites Mal erleiden muß.«
    Der König trinkt den restlichen Wein und ruft nach mehr. Dann verlangt er von Peter Claire, ihm »ein Stück von diesem Rätsel Dowland« vorzuspielen.
    Als die Musik ausklingt, blickt der König seinen Engel aufmerksam an. »Ihr habt doch hoffentlich Euer Versprechen nicht vergessen?« fragt er.
    »Nein, Euer Majestät«, erwidert Peter Claire.
    »Und das müßt Ihr leider auch halten, bis Ihr entlassen werdet!« meint der König, als er aufsteht und unsicher zu seinem Bett geht. »Und ich werde Euch nicht entlassen. Es kommt nicht in Frage, daß Ihr weggeht oder nach England zurückkehrt. Wir beide, Ihr und ich, sind allein auf dem Gletscher unter dem schwarzen Himmel, und da gibt es kein Entrinnen. Wenn Ihr es versucht, kommen die Wölfe, die ich gehört habe, von den Bergen herunter und verschlingen Euch.«

DAS FEST AUF COOKHAM
    Unter allen Grafschaften Englands ist Norfolk, die östliche Region, mit ihren Wäldern und Sümpfen, langsam dahinfließenden Flüssen, ihrem Ackerland und dem endlosen sumpfigen Flachland, das nur von Wassermolchen, Ottern und Wasservögeln bevölkert ist – für die es ein unveränderliches Paradies ist –, bestimmt eine der stillsten im Lande.
    Doch am Silvesterabend vor dem Jahr 1630 herrscht hier, ähnlich einem auf einem stillen Ozean schaukelnden Boot, ein Tumult, der stärker und intensiver ist als alles seit jener Zeit, als Königin Elizabeth von hundert Höflingen begleitet angereist gekommen war und es Schauspielaufführungen, große Essen und Tanz bis in die frühen Morgenstunden gegeben hatte. Mr. George Middleton feiert auf Cookham ein Fest.
    Es ist kalt in dieser Nacht, und am wolkenlosen, sternenübersäten Himmel steht ein großer bleicher Mond. Doch nun steigt von Zimmer zu Zimmer des großen Hauses, ausgehend von der Küche, wo sich der Bratspieß dreht, hinauf zu den Dielen und Empfangsräumen, wo die Feuer mit Apfelbaumholz unterhalten und die Kerzen angezündet werden, dann noch weiter hinauf zu den Schlafräumen, wo die Logiergäste Schüsseln mit warmem Wasser gebracht bekommen und sich im Lampenlicht zu waschen und anzukleiden beginnen, Wärme und Lachen auf. Die Festlichkeiten nehmen ihren Anfang. Die Kutschen nähern sich auf den schlammigen Wegen nur langsam. Die Hunde in der Halle schnuppern und spüren, daß etwas Ungewohntes geschieht. Es wird die Feier, an die sich alle in diesem Winkel Englands stets erinnern werden.
    Als George Middleton in einem weinroten Rock (mit mehr Spitze am Hals und an den Handgelenken, als er früher für angemessen gehalten hätte) die Treppe hinuntergeht, sein Haus so prächtig wie noch nie zuvor sieht und hört, wie die Musiker ihre Instrumente im großen Salon stimmen, wird er plötzlich von einem so vollkommenen Glücksgefühl ergriffen, daß er auf der obersten Stufe stehenbleiben und sich am Geländer festhalten muß. Er ist ein einfacher Mann und stammt von einfachen Leuten ab. Derart überwältigende Gefühle ist er nicht gewohnt. Er fragt sich, ob er wohl gleich umfallen oder die Szene vor ihm sogar verschwinden wird und er feststellen muß, daß er einem grandiosen Traum zum Opfer gefallen ist.
    In diesem Augenblick tritt ein Bediensteter auf ihn zu und fragt ihn, ob er die Güte habe, die Temperaturen der Weine zu prüfen und den Punsch, der bei der Ankunft der Gäste kredenzt werden soll, zu kosten. George Middleton sieht den Dienstboten wohl etwas merkwürdig an – wie jemanden, der eigentlich gar nicht da ist –, denn dieser fragt ihn besorgt: »Stimmt etwas nicht, Sir?«
    »Doch!« antwortet Middleton. »Im Gegenteil! Alles in Ordnung!«
    Als er mit dem Dienstboten die Weine probieren geht, die letzten großen Kerzen im silbernen Kandelaber im Speisezimmer angezündet werden und das komplizierte Geschäft des Plattenwärmens unten in der Küche seinen Anfang nimmt, beginnen die Musiker eine lebhafte Courante zu spielen, deren Klänge den Weg in das Zimmer finden, in dem sich Charlotte Claire, unterstützt von einem der Dienstmädchen von Cookham, ein paar teure, goldene Bänder ins Haar windet.
    Die Frauen unterbrechen ihr Tun und lauschen. Es ist, als lasse diese

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