Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Meeresgürtel von zwölf Meilen um es herum für die Dauer von zehn Jahren oder bis der König von Dänemark das Pfand einlöst und den Betrag mit allen Zinsen, die bis zu jenem fernen Tag angefallen sind, zurückgibt«.
Die Händler stehen gleichzeitig auf, verbeugen sich vor dem König und bitten darum, sich zurückziehen zu dürfen, um sich über »diesen interessanten Vorschlag« zu unterhalten. Der König nickt. Die Männer gehen hintereinander ins Vorzimmer, und Christian sagt den Musikern, sie sollen zu spielen aufhören.
Peter Claire blickt auf. Außer den verklingenden Schritten der Makler ist nichts mehr zu hören. Niemand rührt sich. Der König sitzt regungslos auf seinem vergoldeten Thron mit den beiden silbernen Löwen zu seinen Füßen, die ihn anzuflehen scheinen, sie vor dem Schmelzofen zu verschonen. Jens Ingemann legt seinen Taktstock hin. Peter Claire sieht ernste Gesichter. Nur der deutsche Violaspieler Krenze lacht leise in sich hinein.
Obwohl König Christian dann mitgeteilt wird, daß sein Vertrag zur Verpfändung Islands nicht detailliert genug sei und nach deutschem Recht neu abgefaßt werden müsse, ist er nunmehr sicher, daß der Handel abgeschlossen werden und er bald im Besitz der geforderten Million Daler sein wird.
Zunächst ist er in Hochstimmung und erstaunt über seinen Wagemut. Warum nur ist er nicht schon früher darauf gekommen? Mit dieser großen Geldsumme kann nun die neue Expedition ins Numedal finanziert werden, können mehr Walfänger bestellt, weitere Fabriken gegründet, dem Børnehus höhere Almosen gezahlt, zusätzliche Straßen und Befestigungen innerhalb und außerhalb der Städte repariert und eine größere Anzahl Handelsmissionen in die Neue Welt geschickt werden. Kurzum, der Wiederaufbau Dänemarks kann beginnen. Es wird kein Jahr dauern, und er regiert wie früher eine reiche Nation.
Er träumt von dieser Zukunft, in der die Körper der Adligen von Walfischknochen eingehüllt sind, die Straßen Kopenhagens ordentlich und sauber sind und das Silber vom Isfoss endlich eintrifft. Und dann lösen sich diese Träume ohne Vorwarnung auf und machen einer neuen Einsicht Platz: Er hat sich Island, wohin er nie den Fuß gesetzt hat, als nahezu leere Landschaft vorgestellt, und darin hat er sich natürlich geirrt. Im Hamburger Dokument werden Islands Menschen nicht erwähnt, die es aber bestimmt auch in beträchtlicher Anzahl gibt, genauso wie im Tal des Numedal. Was wird aus ihnen, wenn ihr Land in die Hände der Makler fällt? Wie wird sich alles verändern?
Er macht sich daran, eine neue Klausel aufzusetzen, die noch in den Vertrag aufgenommen werden soll und darauf abzielt, die Häuser und Wohnungen der Isländer, ihre Besitztümer, ihre gerade flügge werdenden Unternehmungen, ihre Verteidigungsanlagen auf See und Fischereiflotten zu schützen. Es ist jedoch fast unmöglich, dies in Worte zu fassen, wenn er nicht die Daler in Gefahr bringen will. Schon bald merkt der König, daß sich seine Gedanken wieder verdunkeln, als falle ein Schatten auf das Papier, auf dem er schreibt.
Er legt den Federkiel aus der Hand und läßt Wein kommen. Er trinkt, bis er in seinem Lehnstuhl einschläft. Das Papier fällt auf den Boden.
König Christian träumt von Island mit einem schwarzen Himmel über einem strahlend weißen Gletscher und Wölfen, die von den Bergen der Umgebung heulen.
Er trägt Schneeschuhe.
Seine Mission ist es, weiterzustapfen, bis er den Gletscher überquert und die Berge erreicht hat. Der Wind heult in seinem Kopf, und seine Schneeschuhe beginnen entzweizubrechen und sich aufzulösen.
Und dann sieht er vor sich eine Gestalt, klein auf der weißen Fläche, allein wie er, die auf ihn zukommt. Und der Anblick dieser Gestalt tröstet ihn und gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit. Sie werden sich begegnen und grüßen. Der Fremde wird ihm sagen, wie er seine Schneeschuhe reparieren kann. Er wird mit ihm das Schnapsfläschchen teilen, das er gegen die Kälte in seiner Manteltasche hat …
Er geht weiter.
Immer weiter.
Allmählich fällt Dunkelheit auf den Schnee, und die Gestalt ist fast nicht mehr zu sehen.
Der König beginnt nun, dem Fremden, der inzwischen in seiner Nähe sein müßte, zuzurufen, erhält aber keine Antwort. Und in diesem Augenblick begreift er, wer es ist.
Es ist Bror Brorson.
Bror Brorson ist in Lutter nicht gestorben. Alles, was Christian dort gesehen und nicht wieder vergessen hat, wird nun von der unabänderlichen Tatsache
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