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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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widerlegt, daß Bror lebt und auf Island unter einem schwarzen Himmel herumläuft und gleich neben ihm auftauchen wird und sich die beiden Männer umarmen werden.
    Der König läuft schneller. Er versucht zu rennen, obwohl sich seine Schneeschuhe weiter auflösen und Holzsplitter in die Schneekruste stechen und ihn stolpern und fast hinfallen lassen. »Bror!« ruft er lauter. »Bror!«
    Es ist jedoch dunkel, zu dunkel, um etwas zu sehen. Und nun erkennt der König, daß es ganz anders ist: Bror Brorson ist nicht auf ihn zugelaufen, er ist von ihm weggelaufen. Und er läuft schneller, lief immer schon schneller und wird es auch stets tun, weil Bror ein starker, sportlicher Mann ist, weil seine Schneeschuhe nicht auseinanderbrechen …
    Selbst wenn Christian die ganze Nacht liefe, würde Bror stets vor ihm und unerreichbar sein.

    Der König wacht auf und läßt Peter Claire holen.
    Er erzählt ihm seinen Traum und davon, daß er vor dem Aufwachen gehört habe, wie Bror zu ihm sagte: »Wenn etwas stirbt, was uns teuer ist, stirbt es noch ein zweites Mal.«
    »Was bedeutet das?« fragt er den Lautenisten. »Sagt mir, was das bedeutet!«
    Peter Claire antwortet, er wisse es nicht, es könne sich auf die Erinnerung beziehen oder zu bedenken geben, daß jemand, der auf der Suche nach Liebe ist, immer die gleichen Fehler begeht und daher auch die gleichen Verluste erleidet.
    Der König nickt und blickt auf. »Ich bin der Liebe überdrüssig«, meint er.
    Er verändert die Position seines schweren Körpers auf dem Stuhl und greift nach dem Becher, wobei er den Wein so hastig trinkt, als sei sein Durst unstillbar.
    Peter Claire fragt den König, ob er ihm etwas vorspielen soll, doch dieser geht nicht darauf ein und sagt leise: »Ich habe jedes Gefühl für das Göttliche der Dinge verloren. Als ich noch jung war, spürte ich es noch überall – sogar in meiner eigenen Handschrift. Nun ist es nirgends mehr.«
    Die Diener haben das Feuer mit Kohlestaub abgedeckt, es ist warm, fast heiß im Zimmer. Dem König treten Schweißperlen auf die Stirn, die er sich mit dem Ärmel abwischt. Peter Claire sagt nichts, versucht sich nur darüber klarzuwerden, was er spielen wird, wenn dies von ihm verlangt wird.
    »Wir hatten Euren Mr. Dowland hier am Hof«, fährt der König nach einer Weile fort. »Er war ein Mann, der von seiner Bedeutung derart überzeugt war, daß sie ihn niederdrückte und ins Elend führte. Er hat sich hier nur Feinde gemacht. Doch seine Musik war erhaben, nicht wahr?«
    »Ja«, erwidert Peter Claire.
    »Manchmal habe ich mich mit ihm spät in der Nacht unterhalten, so wie jetzt mit Euch. Ich versuchte den Punkt zu entdecken, an dem er seine eigene Bedeutung hinter den Noten, die er in seinem Kopf hörte, zurücktreten ließ.«
    »Und habt Ihr ihn entdeckt?«
    »Nein. Aber muß es diese Preisgabe nicht gegeben haben, weil seine Musik sonst nicht einen solchen Grad der Vollkommenheit erreicht hätte?«
    »Ja. Es muß sie gegeben haben.«
    »Ich konnte es aber nicht herausfinden. Ich konnte es nicht sehen. Dowland war immerzu rachsüchtig, eifersüchtig und aufgeblasen. Nur einmal hat er etwas zu mir gesagt, was mir eine andere Seite seines Wesens zeigte, und das fällt mir jetzt wieder ein. Er meinte, der Mensch gebe Tage und Nächte und Jahre seines Lebens an die Frage hin: Wie erreiche ich das Göttliche? Dabei wüßten doch alle Musiker instinktiv die Antwort: Ihre Musik bringt sie zum Göttlichen – denn darin liegt ihr einziger Sinn. Ihr einziger Sinn! Was sagt Ihr dazu, Mr. Claire?«
    Peter Claire blickt ins Feuer. Er möchte antworten, er habe in jüngster Zeit das Gefühl gehabt, aus der Verwirrung herauszukommen und in einen transzendenten Zustand des Glücks, der etwas Göttliches in sich trägt, zu treten. Sein Weg dahin sei aber nicht seine Musik gewesen. Sein Weg sei seine Liebe zu Emilia Tilsen.
    Doch der König hat schon gesagt, daß er nicht über Liebe sprechen will, und so kann der Lautenist nur vager antworten, als es der König gern hätte: »William Shakespeare hat gesagt, ein Mensch, der keine Musik in sich verspürt und bei schönen Klängen nicht bewegt wird, sei des Verrats fähig.«
    »Hat er das gesagt?« fragt der König rasch. »Nun, das ist wirklich aufschlußreich! Wißt Ihr, meine Frau kann Musik nämlich nicht ausstehen. Sie hört keine Melodie. Sie kann nicht … doch nun sind wir schlagartig wieder bei dem Thema, über das ich nicht mehr sprechen will. So zerstört sich der

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