Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
bin?«
»Nein!« antwortet Charlotte. »Nicht im geringsten, mein Lieber. Ich hätte gesagt, in einen ganz besonders schönen weißen Pudding!«
Sie kreischen vor Vergnügen und umarmen sich, wie Kinder manchmal ihre Spielsachen umarmen: mit grenzenloser Hingabe. Stunde für Stunde warten die Kutschen draußen unter den Sternen, die Pferde stampfen, und selbst die Tiere des Waldes kommen an dessen Rand gekrochen, um zu sehen, was die sonst so ruhige Nacht auf Cookham stört.
Es wird Mitternacht. Man prostet sich zu, auf das neue Jahr, auf den phänomenalen Erfolg der Operation, wodurch George das Leben gerettet worden ist, auf das Können des Chirurgen, auf die Stärke der Middletons, auf die Güte Gottes, ein wertvolles Menschenleben gerettet zu haben, und schließlich auf die Zukunft von George und Charlotte und auf die Hochzeit im Frühjahr, die nicht früh genug sein kann.
Und dann spielt wieder die Musik, noch mehr Wein, Pudding, Leckereien und gezuckerte Pflaumen werden auf die Tische gestellt, und die Gäste lockern ihre Korsetts, füllen ihre Gläser und Teller nach, wischen sich über die Stirn und bitten ihre Partner zu noch einem Tänzchen.
Das Personal informiert die in der Küche versammelten Kutscher, die dort Pasteten essen und Bier trinken, daß »es keinerlei Anzeichen gibt, daß irgend jemand gehen will«, und so wird das Feiern da unten lauter, fröhlicher und flirtender. In der Speisekammer werden improvisierte Tänzchen aufgeführt. Der Biervorrat nimmt ab. Die Reste des Lammbratens und Spanferkels werden verspeist. Eine ganze Ladung der süßen, mit Dörrobst und Sirup gefüllten Törtchen, die für die Tische oben bestimmt war, wird plötzlich vermißt.
George Middleton weiß von alldem nichts, würde es aber ohne Ausnahme billigen, weil es in dieser Nacht nichts gibt, was er nicht billigen würde. Er ist sogar den Nachbarn wohlgesinnt, die er nicht besonders gut leiden kann. Als er sie so sieht, wie sie tanzen oder versuchen, sich bei einem Menuett graziös zu verneigen, verzeiht er ihnen von Herzen ihre sinnlosen und irritierenden Angewohnheiten, ihre übliche Streitlust und ihre früheren Versuche, ihn mit ihren häßlichen Töchtern zu verkuppeln. Ja, er findet sogar, daß er sie liebt. Er liebt sogar ihre Töchter. Er geht mit Charlotte von Tisch zu Tisch, und sie ergreifen die ihnen entgegengestreckten Hände mit unverhohlener Zuneigung. »Daisy«, meint George, »durch dich kann ich die Welt anbeten!«
Umfangen von dieser Woge des Lichts, sind der Pfarrer James Claire und seine Frau Anne, die nur wenige Leute kennen, sich aber zufrieden mit allen unterhalten, die gerade neben ihnen sitzen, bei dieser Gesellschaft so glücklich wie die anderen. Es ist, als zeige ihnen diese prachtvolle Feier (die dennoch eine der beruhigend einfachen und englischen Art ist) in jedem Augenblick ein Stück mehr von der Person und dem Charakter ihres künftigen Schwiegersohnes. Sie sehen, daß George Middleton Güte und Grazie besitzt. Sie begreifen, daß er gerne lacht. Wenn sie je Zweifel an seiner Großzügigkeit hatten, dann jetzt nicht mehr. Und was sonst ist der ganze Abend, wenn nicht ein Ausdruck von Georges Liebe zu Charlotte? James und Anne Claire wissen nun, da sie diese Liebe vor sich ausgebreitet sehen, daß ihr zweites Kind, das ihnen nicht so wunderbar erschien wie das erste, jetzt zur ihm gemäßen Zeit auch auf der Schwelle zu einer herrlichen Ära steht.
Doch George Middleton hat den unvergeßlichsten Augenblick des Abends bis zum Schluß aufgehoben.
Gegen ein Uhr, als der Mond hinter den großen Zedern liegt und der Frost die Furchen der Kutschen auf den schlammigen Wegen härtet, fährt ein bemalter Karren in die Einfahrt. Aus diesem klettern fünf Männer in den buntbestickten Kleidungsstücken und ausgefallenen Hüten der Zigeuner.
Sie gehen nicht ins Haus, sondern stellen, scheinbar unbeeindruckt von der Kälte, einen einzigen Notenständer auf die steinerne Terrasse, die sich auf der Südseite der Cookham-Halle anschließt.
Der Lärm und das Tanzen im Haus ist noch sehr laut. Die Zigeuner warten mit ihren Saiteninstrumenten in der Hand still und unbemerkt, außer von einem oder zwei Kutschern, die herauskamen, um Decken auf ihre Pferde zu legen.
Während einer Pause taucht George Middleton auf, schüttelt den Zigeunermusikern die Hand, überreicht ihnen eine Börse mit dreißig Shilling und eine Flasche Pflaumenschnaps und geht wieder zum Fest zurück. Es wird dabei fast
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