Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
werden ohnmächtig …«
Peter Claire schaut benommen auf den Mann und das verqualmte Zimmer. »Was dann?« fragt er schwach.
»Ich habe es vollbracht!« sagt der Mann stolz. »Ein Schlag! Sauber und sicher! Und habe für meine Mühe eine Börse mit Geld bekommen.« Er schlägt sich aufs Knie. »Des einen Leid ist des andern Freud, wie, Sir? Das wußten wir doch schon immer! Nicht wahr?«
ZUM PAPIER
Als Peter Claire König Christian um eine Audienz für den Papierhersteller aus Bologna bittet, findet dessen müder Kopf eine plötzliche, unerwartete Zuflucht in einer Vision untadliger Kalligraphie, in der die Buchstaben in perfekter Symmetrie ausgerichtet sind. »Ja«, sagt er. »Schickt ihn zu mir!«
Der König, der in einem Stuhl am Feuer seines Schlafzimmers sitzt, stellt fest, daß er unter dem Lederumhang sein Nachthemd trägt. Er kann sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt etwas gegessen hat oder woran er gerade dachte, als der Lautenist hereinkam, oder ob Musik gespielt worden war oder nicht. Er blickt an seinen Beinen hinunter und sieht, daß sie nackt und die Venen geschwollen sind, als wänden sich Würmer direkt unter der Haut. Er bittet Peter Claire zu warten, ihm ein paar Felle zum Zudecken zu bringen und ihm die Haare zu kämmen.
»Was habe ich gerade gemacht?« fragt er, als der Kamm ihm über die Kopfhaut kratzt.
»Wann, Euer Majestät?«
»Gerade eben! Bevor Ihr den Papierhersteller erwähnt habt!«
Peter Claire erwidert, er habe einer Pavane für Soloflöte von Ferrabosco zugehört, und erklärt, das Stück erinnere ihn an eine Reise nach Spanien, wo das Abendlicht jadefarben war und die Frauen nach Gewürznelken rochen.
Christian lächelt. »Ich habe den Verstand verloren«, meint er.
Als Francesco Ponti hereinkommt, findet der König, daß ihn doch noch eine tröstliche Normalität umgibt. Er bittet ihn, Platz zu nehmen.
Signor Ponti verneigt sich tief und dreht sich dann um. Nun sieht der König eine weitere Person vor sich, eine dunkelhaarige Frau, die ihm als Pontis Tochter vorgestellt wird. »Bitte verzeiht mir, Sir«, sagt Ponti, »doch ich habe kein Dänisch, und mein Englisch ist nicht genau. Meine Tochter Francesca dolmetscht für uns.«
König Christian blickt auf Francesca, die einen Knicks vor ihm macht. Ihr Gesicht würde er als »schön« bezeichnen, und ihre Augen sind von großer Intensität. Er atmet die Luft seines Zimmers ein, da er meint, diese Frau müsse, wie die Schönheiten von Santander, nach Gewürznelken oder einem anderen nachhaltigen Aromastoff riechen. Ihre Anwesenheit erinnert ihn daran, daß die Welt von einer Vielfalt ist, die er sich zu vergessen erlaubt hatte. Er ist bereits zu lange in seiner Festung eingeschlossen. Und diese Gefangenschaft hat seinen Verstand in Mitleidenschaft gezogen.
Ponti hat einen großen Kasten mitgebracht, dem er jetzt eine Sammlung Ledermappen entnimmt.
»Mein Vater würde Euch gern ein paar seiner Papiermuster zeigen, Euer Majestät«, sagt Francesca, die nervös ist, was man aber ihrer kräftigen Stimme nicht anmerkt. »Die Ponti-Manufaktur ist im ganzen Land für die Qualität ihres Papiers und Pergaments berühmt. Sie hat sich von Anfang an der Herstellung schludriger Ware widersetzt.«
Der König nickt enthusiastisch. »Gut!« meint er.
Ponti legt eine der Mappen auf einen niedrigen Tisch neben dem Stuhl des Königs. Sie enthält vier Blätter eines sauberen, cremefarbenen Papiers von bewundernswerter Glätte. König Christian beugt sich vor, um sie zu begutachten, und reibt die Ecke eines Blatts zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Papier fühlt sich gut an.
»Mein Vater hat dieses Muster Carta Ponti Numero Due genannt. Es ist nicht das beste, verkauft sich aber gut.«
»Ja«, meint der König. »Mir gefällt seine Reinheit.«
»Es ist ein sehr saugfähiges Papier.«
»Saugfähig?«
»Für die Tinte. Ein Kunde meines Vaters, ein Kartograph, hat einmal gesagt, seine Feder sei ins Numero Due verliebt, nicht wahr, Papa?«
»Ja«, antwortet Ponti lächelnd.
Der Gedanke an den verliebten Kartenfederkiel amüsiert den König. Er stellt sich vor, wie der Kartograph arbeitet und arbeitet und kaum einmal zum Schlummern oder Essen innehält und seine Flüsse und Deltas immer noch gestochener und seine Zeichnungen von Schiffen und kleinen Wellen immer noch kunstvoller und phantastischer werden. »Das ist es, was wir in Dänemark brauchen!« sagt er. »Männer, die ihre Arbeit wieder lieben .«
König Christian
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