Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Erscheinung des Königs und der Schmuckheit und dem Optimismus seiner Architektur auf. Er fragt Peter Claire: »Was ist das für ein Mann?«
Sie haben Rosenborg verlassen und sind in einem der Gebäude, die eine Schutzmauer um den Tøjhushavn, den Tiefwasserhafen, bilden, wo die Tre Kroner jetzt vor Anker liegt. Sie blicken auf das große Schiff hinunter, das neben mehreren kleineren festgemacht hat, und Peter Claire erinnert sich an die Reise ins Numedal und die Musik, die sie auf dem Achterdeck unter den Sternen gespielt haben. Er deutet auf die Tre Kroner. »In gewisser Hinsicht», sagt er, »ähnelt König Christian diesem Schiff.«
»Dem großen?«
»Ja. Es ist das größte der Flotte, und man wird auf den Meeren kein stabileres antreffen. Ich bin mit ihm gesegelt und weiß, wie gewaltig die Kraft seiner Segel und wie solide es gebaut ist. Doch seht Ihr die bunten Farben und die kunstvolle Goldarbeit? Des Königs Sehnsucht nach den goldenen Dingen der Welt verdeckt manchmal die darunterliegende Stärke.«
»Nach den ›goldenen Dingen‹?« fragt Ponti. »Was ist das?«
»Luxus«, meint Francesca.
»Nicht nur das«, sagt Peter Claire. »Ich halte ihn für einen Träumer.«
Nach kurzem Schweigen blickt Francesca Peter Claire an und sagt: »Ein König sollte träumen. Wer nicht träumt, tut auch nichts.«
»Dem stimme ich zu«, erwidert Peter Claire ruhig. »Aber natürlich sind nicht alle Träume des Königs verwirklicht worden – und werden es auch nicht –, und das macht ihn niedergeschlagen.«
Darauf sagt Francesca nichts. Ihr Blick von oben auf den Tøjhushavn, die schwankenden Maste unter sich, hat etwas Seltsames an sich, was sie hypnotisiert. Es ist, als seien sie selbst gar nicht mit der Welt verankert, sondern balancierten auf den Schiffen, seien aber dennoch sicher wie die Vögel, da sie ihre Kraft zu fliegen retten würde, wenn sie fallen sollten.
Während sich Signor Ponti mit dem Landvermesser Seiner Majestät berät, bittet Francesca Peter Claire, mit ihr durch die Wälder von Frederiksborg zu reiten. Sie sagt ihm, sie sei zu lange in geschlossenen Räumen – Kabinen auf Schiffen, rüttelnden Kutschen und hohen, lichtlosen Zimmern – gewesen und sehne sich nun danach, »eine Luft einzuatmen, die wie die auf Cloyne, nämlich kalt und schön, ist«.
Er fühlt sich hin und her gerissen bei dieser Bitte, so wie er seit Francescas Eintreffen zwischen dem Wunsch hin und her gerissen ist, sie in die Arme zu nehmen oder zu versuchen, die richtigen Worte zu finden, um ihr von Emilia zu erzählen.
Und er weiß, daß die Gräfin sein Zögern bemerkt hat, vielleicht nicht den Grund dafür kennt, aber beobachtet hat, wie er sich auf sie zu- und wieder von ihr wegbewegt, Luft holt, um zu sprechen, und dann doch schweigt, ihren Blick sucht und plötzlich wegsieht. Sie hat ihn schon mehrmals gebeten, mit ihr zu sprechen.
»Natürlich müssen wir uns unterhalten«, hat er gesagt. »Du mußt aber verstehen, daß ich über meine Zeit nicht frei verfügen kann, Francesca, wir haben lange Musikproben, und Seine Majestät ruft mich oft zu sich, zu jeder Tag- und Nachtzeit, um ihm allein vorzuspielen.«
»Warum allein?« hat sie gefragt und gesehen, wie er bei seiner Antwort errötet ist.
»Der König hat einen Spitznamen für mich. Er nennt mich seinen ›Engel‹ …«
»Seinen Engel!«
»Du kannst ruhig lachen. Nur zu! Der deutsche Violaspieler Krenze findet das gleichfalls ausgesprochen lustig, ebenso wie die anderen. Und das ist es natürlich auch. Ich kann mir aber nicht erlauben, es nur lustig zu finden. Ich habe dem König ein Versprechen gegeben und habe nun keine andere Wahl, als es zu halten.«
»Was für ein Versprechen?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Und warum hast du ›keine andere Wahl‹?«
»Weil ich geschworen habe …«
»Und wenn du etwas geschworen hast, dann gilt dein Wort? Was hast du auf Cloyne geschworen, Peter Claire?«
»Was habe ich geschworen, Francesca?«
»Als wir die Eulenrufe hörten! Du hast zu mir gesagt, du würdest kommen, wenn ich dich rufe.«
Peter Claire sieht sie an. Er kann sich nicht erinnern, genau das gesagt zu haben, wohl aber daran, etwas dergleichen gefühlt zu haben, daß er ihr – der ersten Frau, für die er eine unwiderstehliche Leidenschaft empfand – immer erlauben würde, einen Teil von ihm zu beanspruchen. Daher muß er noch einmal von ihr wegschauen, so tun, als sei er von etwas vor dem Fenster abgelenkt worden oder ihm sei
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