Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
in Werden, als ich in einen Graben mit Dornensträuchern fiel und nicht mehr herauskam, weil ich mir den Fuß gebrochen hatte. Der Graben war so tief, daß man mich nicht sehen konnte, und so wurde ich erst spät am Abend herausgeholt.
Graf Otto Ludwig kämpfte auf meiner Seite. Unser Heer war auf deutsche Söldner angewiesen, die wir mit Gold und Silber bezahlen mußten. Er war einer davon – er kämpfte für Gold und nicht für Dänemarks Würde und Glauben.
An jenem Abend in Werden konnte ich wegen der Schmerzen in meinem Fuß nicht tanzen. Und so tanzte meine Frau mit dem Grafen. Und als ich sie mit diesem Mann tanzen sah, wußte ich, daß alles, was sie für mich gefühlt hatte, auf diesen überging – in dieser einen Nacht – und ich, der ich eine Stunde zuvor noch reich gewesen war, auf einmal arm war. Da kam mir zum erstenmal der Gedanke, sie zu töten, und vielleicht hätte ich es damals ja auch tun sollen, weil ich mir dann vier lange, qualvolle Jahre erspart hätte.«
Der König liegt jetzt halb auf einem Holzsofa, Peter Claire kauert nicht weit von seinen Knien entfernt auf einem Hocker. Der König rülpst, blickt ihn scharf an und fragt: »Muß Liebe immer in einem Graben enden? Was glaubt Ihr, Peter Claire?«
Vor Peter Claires Augen taucht Emilia Tilsens Gesicht auf. »Ich glaube«, erwidert er zerstreut, »daß sie sich ständig verändert.«
König Christian schaut Peter Claire noch immer unverwandt an, und dieser erwartet, nun nach seinen eigenen Gefühlen gefragt zu werden (vielleicht nach denen für die irische Gräfin, die seit neuestem alle am Hof bezaubert?), doch der König schwenkt um, trinkt noch mehr Wein und meint: »Diese Bettücher! Als sich Manders und seine Frau in diese legten, wandten sie sich da einander zu, oder waren sie beide einfach damit zufrieden, zu erfahren, wie es sich anfühlt, zwischen den Bettüchern zu schlafen ?«
Peter Claire will gerade antworten, als ihm König Christian das Wort abschneidet. »Das werden wir natürlich nie erfahren!«
Der König schließt die Augen, als wolle er nicht über alles nachdenken, was man auf der Welt nicht erfahren kann. Dann öffnet er sie wieder und erzählt: »Kirsten hat mich gebeten, ihr die schwarzen Knaben zu schicken. Ich weiß, warum sie ihre Sklaven haben will. Ich durchschaue sie, blicke ihr ins Herz. Sie möchte wissen, wie es sich anfühlt, zwischen ihnen zu schlafen!«
Das brüllende Lachen des Königs klingt hohl und schreckt den Wirt aus seinen Sägemehlträumereien. Und dann rollt Seiner Majestät sich noch immer vor wilder Heiterkeit schüttelnder, riesiger Körper vom Sofa auf den Boden, so daß Wein verschüttet wird und ihm das Wams bespritzt. Der König bringt einen Spuckeklumpen hervor und zielt damit aufs Feuer.
Peter Claire und der Wirt helfen König Christian ins Bett, wo dieser sofort einschläft.
Der englische Lautenist geht in sein eigenes Zimmer, wo das harte Bett zu kurz für ihn ist, so daß er sich nicht richtig ausstrecken kann. Er liegt mit angezogenen Knien im Dunkeln und denkt, daß es für Emilia Tilsen genau die richtige Größe hätte.
DIE VORHÖLLE
Während der König seine Reise nach Norden fortsetzt, machen sich Ellen Marsvin und Vibeke Kruse auf den langen Weg von Boller nach Frederiksborg.
In der ruckelnden Kutsche blickt Ellen auf Vibeke, die vor Übelkeit schon ganz bleich ist, und fragt sich, ob sich ihr Plan verwirklichen wird oder ob sich ihre gemeinsamen Hoffnungen nach all der Zeit und dem Geld, das sie für Frøken Kruses Kleider, Kalligraphieunterricht und Elfenbeinzähne ausgegeben hat, zerschlagen werden.
Doch Ellen Marsvin ist eine mutige Frau. Der Gedanke, der Plan könne scheitern und sie weiterhin auf ihre spärlichen Mittel angewiesen sein, erschreckt sie nicht so sehr, als daß er sie neugierig macht. Ganz gleich, welches Los ihr das Leben zuteilt, sie wird das Beste daraus machen. Ein Teil von ihr sehnt sich danach, sich wie Jesus Christus in der Wildnis zu befinden, nur Steine und Gestrüpp um sich, um dann durch den ihr eigenen Einfallsreichtum eine Möglichkeit zum Überleben zu finden – am liebsten genau die, an die außer ihr niemand gedacht hat. Sie würde es fertigbringen, aus Baumrinde Marmelade zu machen. Ihre Tochter, ihre Dienerschaft und ihre Freunde würden glauben, sie sei tot, doch das wäre sie nicht. Sie würde die Wildnis verlassen und ins Leben zurückkehren, als sei überhaupt nichts geschehen.
Es ist Vibeke, nicht Ellen, die
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