Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Caravaggios grenzt an Anbetung. Manchmal deutet er auf eine phantastisch wiedergegebene ausgestreckte Hand oder das Licht auf einer Obstschale und fordert die anderen wortlos auf, vor dem Genie des Künstlers andächtig den Blick zu senken oder auf die Knie zu fallen.
In der wirbligen, bunten Welt der Straßen und Kais Londons, in der es fast nie Ruhe und Stille gibt, ist eine puritanische, kritische Druckschrift verteilt worden, in der es heißt: »Der unvergleichliche König Charles gibt Millionen Pfund Sterling für eitlen Tand, alte, scheußliche Bilder und Büsten mit zerbrochenen Nasen aus.« Doch die meisten Handzettel werden absichtlich oder aus Versehen fallen gelassen, in den Schlamm getreten oder vom Wind davongetragen und aufs Wasser geweht, so daß diesem zurückhaltenden, pingeligen Mann, der mit seiner eigenen Göttlichkeit allein ist, noch nichts davon zu Ohren gekommen ist.
Es muß allerdings auch gesagt werden, daß er diese Druckschrift, sollte sie ihn eines Tages doch erreichen, als völlig belanglos ansehen würde. Er ist der Meinung, daß ein Herrscher und seine Untertanen »etwas völlig Verschiedenes« sind, der eine für die vielen immer unbegreiflich bleiben wird. Er ist König, weil er von Gott dazu auserwählt worden ist, und niemand kann dies bestreiten, und niemand hat das Recht, sein Handeln zu kritisieren. Die Aktionen von Druckschriftverfassern kümmern ihn weniger – viel weniger – als das bißchen Staub, das er manchmal auf seinem Ankleidespiegel entdeckt. Er mag keinen Staub. Er versucht zu vermeiden, daß seine Finger mit ihm in Berührung kommen.
Sein Blick wandert an seiner langen Nase hinunter und bleibt auf dem Hof hängen, wo eine Linde gepflanzt worden ist und mehrere Personen mit ihren Besorgungen unterwegs sind. Er genießt diesen Augenblick. Er überlegt, ob er nicht eine Ode mit dem Titel »Ein Loblied aufs Fenster« verfassen sollte.
Der Mann, der eines Morgens im März 1630 darauf wartet, zu ihm vorgelassen zu werden, ist sein Botschafter in Dänemark, Sir Mark Langton Smythe.
Als sich König Charles schließlich umdreht und in die Welt zurückkehrt, in der von ihm verlangt wird, sich zu bewegen und zu sprechen, sieht er sich dem lächelnden und sich verbeugenden Botschafter Langton Smythe gegenüber. (Das Lächeln, die Verbeugung, das ständige Verziehen der Gesichtsmuskeln, das häufige Verbiegen der Wirbelsäule und umständliche Ausstrecken des Beins: das Los eines Untertanen ist vielleicht auch recht anstrengend, überlegt der König, falls solche Einsichten von ihm verlangt sein sollten – was nicht der Fall ist.)
Er setzt sich auf einen seiner vielen mit Brokat bezogenen Throne und bietet dem Botschafter einen Platz gegenüber an. Plötzlich fällt ihm ein, daß er diesen Mann, einen ehemaligen Günstling seiner Mutter, gut leiden kann, und er merkt, wie sich seine Kehle und Zunge entspannen, so daß er eine Frage stellen kann, bei der er überhaupt nicht stottert: »Wie geht es Unserem Onkel, dem König von Dänemark?«
Langton Smythe erwidert, König Christian sei nicht am Hof, sondern befinde sich auf seiner jährlichen Reise durch die Ländereien des Adels. Im übrigen warte er noch immer auf die Bezahlung der Hamburger Handelsleute für Island. König Charles (der sich Island als Glaswüste vorstellt, auf die wie Staub ständig Schnee fällt) nickt ernst und überlegt laut: »Ist Island denn so viel wert, daß damit die hohen Schulden Unseres Onkels bezahlt werden können?«
Der Botschafter Langton Smythe schüttelt den Kopf und sagt, er bezweifle, daß dieses Geld je in König Christians Schatzkammer ankommen werde. Dann informiert er den König von England darüber, daß er aus Kopenhagen zurückgekehrt sei, um hier um ein kleines Darlehen zu bitten. »Vielleicht hunderttausend Pfund Sterling?« schlägt er vor. »Damit Euer Onkel eine kleine Verschnaufpause erhält, Sir. Damit er anfangen kann, alles wieder in Ordnung zu bringen.«
Langton Smythe weiß, welch große Bedeutung in König Charles’ Wortschatz der Begriff »Ordnung« hat und daß dieser sogar fast eine magische Wirkung haben kann, wenn er sorgfältig in einen Satz eingebaut wird. Doch nun sieht er, wie der König seine langen weißen Hände nachdenklich vor dem Gesicht zusammenlegt, und ist sich nicht im klaren, was diese Geste bedeutet.
Er wagt es nicht, noch etwas zu sagen, und so herrscht Schweigen im Raum. Nur das Knacken und Speien des Feuers ist zu hören.
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