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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Lebens seinen Anfang nahm.«
    Vibeke blickt auf die gleichmäßig brennende Kerze und wartet. Der Körper des Königs ist so heiß, daß ihr Nachthemd an der Stelle, wo er an ihrer Brust lehnt, ganz durchnäßt ist. Sie merkt, daß Christians Stimme trocken und kratzig wird, als habe er nicht genügend Speichel im Mund und nicht ausreichend Luft in der Lunge. Sie fragt sich, ob er die Geschichte hier beendet, ob er doch noch zu dem Entschluß kommt, nicht fortzufahren. »Ich weiß«, sagt sie freundlich, »daß es auf dänischer Seite bei Lutter große Verluste gab …«
    »Dänemark selbst ging in Lutter verloren!« erwidert Christian. »Alles, was es an Wohlstand und Ansehen gab. Denn wir bezahlten dort teuer, so teuer …«
    »Und Bror Brorson war einer von denen, die bezahlen mußten?«
    »Bror hätte nicht sterben dürfen! Unsere Fußtruppen waren zahlenmäßig weit unterlegen, und ich sah Hunderte der Pikeniere fallen. Doch Bror hätte am Leben bleiben sollen, denn die Kavallerie konnte sich in der Mitte und an der linken Flanke halten, und wir gruppierten uns neu, flickten die aufgerissenen Linien und hielten Tillys Angriff dreimal stand, und noch beim drittenmal rief ich den Soldaten zu, daß wir es schaffen, daß wir Tillys Reiterheer schlagen würden …
    Doch beim dritten Angriff wurde mir mein Pferd weggeschossen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie verwirrt und entsetzt ein Reiter ist, wenn er sich plötzlich auf dem Boden wiederfindet, wie hilflos und klein er sich da fühlt! Er weiß, daß er verloren ist, wenn ihm nicht durch Zufall ein anderes Pferd, ohne Reiter und wild übers Feld galoppierend, über den Weg läuft. Denn Schlachten werden durch Bewegung, durch den Angriff gewonnen, und ein gefallener Reiter kann sich in seiner schweren Rüstung nicht richtig bewegen und hat das Gefühl, im nächsten Augenblick zu Tode getrampelt zu werden.
    Und so brüllte ich, daß mein Pferd weg sei … und dann, was ich dann sah …, ein Reiter löste sich aus der Frontlinie, ritt zu mir zurück und stieg ab. Es herrschte solcher Kampfeslärm, daß ich anfangs nicht verstand, was er zu mir sagte, und so warf er mir die Zügel seines Pferdes in die Hände, und ich begriff, daß er wollte, daß ich sein Roß nahm.
    Es war Bror. Ich sagte: ›Ich nehme dein Pferd nicht, Bror! Das tu ich nicht!‹ Doch er, selbst dann … ich hatte schon gesehen, wie er war … so dünn, daß er fast verhungert wirkte … selbst dann, trotzdem, war er stark wie immer, und es kam mir fast so vor, als hebe er mich auf sein Pferd, und im nächsten Augenblick ergriff ich die Zügel, ganz so, als wäre es mein Pferd …«
    »Bror Brorson hat damit, daß er dir sein Pferd gegeben hat, nicht mehr für seinen König getan, als jeder andere auch getan hätte«, meint Vibeke. Doch Christian läßt sich von diesen Worten nicht trösten.
    Er schlägt sich mit der Faust aufs Herz. »Bevor ich davonritt, sagte ich noch zu Bror, er solle in den Wald gehen und von einem Toten eine Muskete nehmen. Doch als ich mich umschaute, war er nicht gegangen, sondern stand noch da, wo ich ihn zurückgelassen hatte, und sah mir nach. Ich wußte, was er fühlte … wie hilflos er war und wie sehr er von der Rüstung, auf der ich bestanden hatte, eingeengt und daran gehindert war, zum Wäldchen zu rennen und sich dort in Sicherheit zu bringen. Dennoch blieb ich nicht – konnte ich nicht bleiben! Ich wußte, daß alles von der Kavallerie abhing, und mußte daher weiter, die Linie wieder zusammenfügen und meine Soldaten vorantreiben.
    Die Linie konnte sich noch halten. Ich dachte, daß Bror aller Wahrscheinlichkeit nach mein Leben gerettet hatte und wir nun mit unserem Reiterheer den Tagessieg davontragen und im Siegestaumel nach Dänemark zurückreiten würden. Und dann würde ich Bror retten! Ich war dazu entschlossen, und es war ein herrlicher Gedanke! Ich würde all die Jahre, in denen ich ihn vernachlässigt hatte, wiedergutmachen und Bror nach Rosenborg bringen, wo er sich um die Pferde kümmern konnte, und anordnen, daß er gut untergebracht, versorgt und ihm der Respekt gezollt wurde, den er als Freund des Königs verdiente.
    Doch als ich dann ins Tal kam, sah ich die neuen Soldaten, die Tilly in Reserve gehalten hatte. Mit ihnen hatte ich nicht gerechnet. Es war eine Mauer von Männern, unzählige, jedenfalls kam es mir so vor, eine Mauer, die wir Übriggebliebenen niemals durchbrechen konnten.
    Als ihre Musketiere das Feuer eröffneten, gab ich den

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