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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Erwartung Ihrer Antwort die Ihrige,
    Kirsten Munk, Gemahlin des Königs

    Ich bemerkte, daß Emilia Tilsen eine runde und hübsche Schrift hat. Sie sagte nichts zum »Huf der Antilope«, sondern blickte bloß, als sie mit dem Briefschreiben fertig war, besorgt und mit einem leichten Stirnrunzeln zu mir auf.

NACH NORDEN
    König Christians Tre Kroner , ein großes, vergoldetes Schiff, ist nach Norden, zu den Eisschollen des Skagerraks, unterwegs. Sie ist das größte Schiff der Flotte und wiegt über fünfzehnhundert Tonnen. Ihr Hauptmast mißt vom Hauptdeck bis zum Krähennest einhundertunddreißig Fuß. An den Rahen und Mastspitzen hängen seidene Fahnen, die sich im Wind blähen, und auf dem großen Achterdeck fängt das gold und blau bemalte königliche Wappen die Strahlen der Wintersonne ein.
    Mit seinen gewaltigen Segeln und seiner mächtigen Tonnage ist es das prächtigste Schiff, das je in diesen Gewässern gesehen wurde. Darin ähnelt es dem König – ganz so, wie er es sich gewünscht hatte. Den schottischen Erbauer hatte Christian angewiesen: »Gebt mir Masse und Kraft! Gebt mir Größe und ein tapferes Herz!«
    Und nun pflügt das Schiff in Richtung Norwegen durchs kalte Meer des eisigen Frühlings. Es hat Fässer mit Schießpulver und Eisenwerkzeuge zum Hauen von Fels und Gestein an Bord, außerdem Seile, Tauwerk und Ketten. Doch wenn König Christian in den Laderaum hinuntergeführt wird, um das Abbaugerät zu inspizieren, sieht er im Schein der Fackeln keine Pickel und Schaufeln: In seiner Phantasie hat er sie bereits gegen Silberbarren ausgetauscht. Und die Fässer sind voller Silbertaler.
    Der König ist mit einem großen Gefolge unterwegs, doch das Schiff faßt einhundertundfünfzig Seelen. Die Kabinen auf dem Achterdeck sind den Ingenieuren zugeteilt worden, den Leuten, die der König die Genies der Mine nennt, Männern, die auf einen Berg blicken und wissen, wo die Flöze mit dem kostbaren Erz zu vermuten sind. Diese Genies der Mine hocken oben auf dem Achterdeck zusammen, bereiten sich auf die Probleme vor, vergleichen Notizen und legen sich Landkarten vom Numedal übers Knie.
    Der König hat außer den Köchen, Weinhändlern, Marineärzten, Apothekern, Geographen und Wäschern auch zwei Musiker an Bord, weil er nicht weiß, wie lange er von Kopenhagen weg sein wird, und der Meinung ist, daß ein Leben ohne Musik – auch ein Leben in einem weit entfernten Gebirge unter norwegischem Himmel – eines ist, in dem die kalte Gleichgültigkeit des Universums übermächtig werden kann. Und er ist nicht in der Stimmung für dessen gefühlloses Schweigen.
    Einer der Musiker ist Peter Claire, sein »Engel«, der andere der Deutsche Krenze, der Violaspieler. Ihre Quartiere auf dem obersten der drei Kanonendecks, die sie mit den Ärzten teilen, sind dunkel und laut, und als das Schiff an Frederikshavn vorbeifährt und zu spüren bekommt, wie die Westwinde des Skagerraks das Meer aus seinem Kattegatschlummer wecken, bietet die Größe der Tre Kroner nur wenig Schutz davor, im aufgewühlten Wasser herumgeschleudert zu werden.
    Krenze liegt in seiner Hängematte und nippt an Ingwertee, um nicht seekrank zu werden. Peter Claire tut vom mühsamen Balancehalten schon alles weh; ihm kommt es so vor, als vermischten sich seine Schmerzen und das Knacken und Ächzen des Schiffs und würden ein und dasselbe. Seine Welt ist zusammengeschrumpft auf Knochen und Sehnen, Holz und Taue, alles in ihm protestiert gegen das unwirtliche Meer. Peter Claire ist erst wenige Wochen zuvor übers Meer aus England gekommen, und er hätte nie erwartet, so entsetzlich bald wieder auf einem Schiff zu sein. Er schläft unruhig und träumt von seiner irischen Gräfin. »Vorbei«, sagt er laut, »unwiderruflich vorbei!«
    Krenze hört dies, stellt aber keine Fragen und gibt keinen Kommentar ab. Grün im Gesicht, die Hände um seinen Teebecher gelegt, bemerkt er beißend: »Es überrascht mich, daß uns Seine Majestät nicht beim Pulver im Laderaum untergebracht hat. Was ist denn aus Seinem gehegten Konzept des Tief unten geworden?«
    Peter Claire, der noch Bilder der Gräfin O’Fingal vor Augen hat und im aufgewühlten Skagerrak das blaugraue Meer von der Westküste Irlands sieht, erwidert pedantisch: »Der Laderaum ist zu tief unten. Wir sind nur zu zweit, so daß er uns nicht einmal auf dem Hauptdeck hören könnte.«
    Trotz seiner Übelkeit lächelt Krenze. »Ihr wißt, daß wir ein schwimmender Sprengkörper sind?« meint er. »Eine

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