Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
blickte mich Hansi erstaunt an, weil sie glaubt, ich sei, weil ich ihrem Ruhebedürfnis nicht die geringste Beachtung schenke, der Rücksichtnahme überhaupt nicht fähig, während ich in Wahrheit außerordentlich rücksichtsvoll und achtsam anderen gegenüber sein kann, wenn mir danach zumute ist. Es ist nicht mein Fehler, daß dies so selten der Fall ist, sondern liegt an der Tatsache, daß überall um mich herum grobe und faule Menschen sind, für die ich kein Jota Liebe verspüre.
»Aber nein«, sagte diese süße Emilia, »ich bin nicht müde, Madam! Wenn ich irgend etwas für Euch tun kann, dann laßt es mich bitte angehen.«
Sie trug ein Kleidchen aus grauer Seide. Es war sehr einfach, kleidete sie aber gut. An einem Samtband um ihrem Hals hing ein Medaillon. Sie hatte ein zartes, angenehmes Parfüm an sich, das mich an den Duft von Sommerobst erinnerte.
»Nun gut!« meinte ich. »Es gibt eine kleine Aufgabe, die du für mich erledigen kannst, doch zunächst würde ich mich gern, wenn du nicht müde bist, mit dir unterhalten und etwas über dein Leben in Jütland erfahren, wo ich selbst zur Welt gekommen bin. Hansi, laß also etwas Wein und Kümmelkuchen kommen, und Emilia und ich werden uns hier ein Weilchen unterhalten. Komm her, meine liebe Emilia, nimm auf dieser Chaiselongue Platz, während wir auf den Wein warten.«
Hansi sah mich mit offenem Mund an. Mit ihr hatte ich noch nie so nett gesprochen. Sie ergriff die Flucht und ließ die Tür rüde hinter sich zuknallen.
Inzwischen habe ich herausgefunden, daß meine süße Emilia ein tragisches Leben hatte. In dem Medaillon an ihrem Hals trägt sie ein Bild ihrer Mutter, und sie sagt, von diesem Besitz werde sie nichts trennen.
Es hat mich sehr bewegt, zu hören, wie ihre Mutter gestorben ist, fast hätte ich sogar geweint, was ich kaum einmal tue, weil ich lieber über das Leben schimpfe als heule. »Oh, mein armes Mädchen«, sagte ich mit erstickter Stimme, nahm sie in die Arme, legte ihren Kopf an meine Schulter und strich ihr übers Haar. Wir weinten dann zusammen, und nach ein paar Minuten des Weinens sagte ich: »Ich will dir rundheraus sagen, Emilia, daß ich mich hier in Rosenborg auch in einer unglücklichen Lage befinde. Du siehst vielleicht meine luxuriösen Gemächer, meine vielen Kleider und Pelze, meine goldenen Ziergegenstände und Juwelen. Ich bin aber bei alldem eine unglückliche Frau. Du wirst mit der Zeit merken, warum, und begreifen, wie sehr ich verachtet werde.«
»Verachtet?« fragte Emilia. »Wie kann jemand eine so schöne und gute Frau wie Euch verachten?«
»Oh!« rief ich. »So siehst du mich? Schön und gut?«
»Ja. Ihr seid sehr schön. Und wie liebevoll und gütig Ihr in meiner ersten Stunde auf Rosenborg zu mir …«
»Ich war es!« Mir kamen wieder die Tränen. »Beides war ich, als ich noch jünger war, bevor mich die Schwangerschaften und das Gebären von Kindern in eine boshafte Welt in den Wahnsinn trieben. Doch meine ganze Freundlichkeit ist aufgebraucht. Und nun bin ich so wütend auf mein Schicksal, daß ich … Ich kann dir nicht sagen, was ich tun würde. Ich weiß nicht, zu welch Schrecklichem ich fähig bin!«
Wir schluchzten noch eine Weile. Ich hatte ganz vergessen, wie wunderbar Weinen sein kann. Dann schenkte ich uns Wein nach, suchte nach einem Taschentuch, um unsere Tränen zu trocknen, und sagte zu Emilia: »Ich habe dich als Geschenk von meiner Mutter erhalten, und wie ich sehe, hat sie eine gute Wahl getroffen. Meine anderen Frauen haben bestimmte Aufgaben, doch dir will ich nur die eine geben: immer zu kommen, wenn ich dich rufe, und das zu tun, wonach mir gerade der Sinn steht, auch wenn es verrückt erscheinen mag. Dafür werde ich versuchen, immer nett zu dir zu sein, so wie es deine Mutter gewesen wäre, und nichts von dir zu verlangen, was dir Kummer oder Schmerz bereiten könnte.«
Emilia dankte und versprach, alles für mich zu tun, ganz gleich, worum ich sie bitten würde. Ich tätschelte ihr die kleine Hand, und wir tranken den Wein und aßen den Kümmelkuchen. Dann sagte ich: »Also gut, Emilia. Ich möchte, daß du jetzt einen Brief für mich schreibst.«
Dann diktierte ich ihr folgendes:
Lieber Herr Bekker,
beim Durchsehen der Liste, die Ihr mir heute gegeben habt, stelle ich doch fest, daß Ihr darin »Huf der Antilope« erwähnt.
Bitte seid so gut, mich morgen aufzusuchen und mir zu erklären, wie um alles in der Welt ich an so etwas Ungewöhnliches herankommen soll.
In
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