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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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oft Fehler, so daß er die Wörter vielleicht auch durcheinandergebracht und vertauscht und dadurch seinem Zuhörer eine merkwürdige Logik vermittelt hat), doch nach ein paar Tagen bemerkte ich bei Johnnie O’Fingal eine Veränderung. Er kam zu den Mahlzeiten, sagte gelegentlich ein paar Worte zu den Kindern und ließ sich von ihren Spielen und ihrer Arbeit erzählen.
    Eines Tages beim Mittagessen – wir aßen einen dünnen Eintopf mit Hals vom Lamm – begann er plötzlich eine Diskussion über das große Thema Gott und Religion, wobei er sich endlos über die Frage ausließ, wie und wann und auf welche Weise wir einen Beweis von der Existenz Gottes erhielten. Und mein Vater, der zwar römisch-katholisch, aber auch Händler und keineswegs ein großer Philosoph ist, antwortete ihm schlicht mit einer Geschichte aus seinem Kaufmannsleben. Er meinte, Gott sei ihm in der Verkleidung günstiger Gelegenheiten erschienen.
    »Siehst du, Johnnie«, erklärte er, »in allem, was uns offenbart wird, sehe ich Hand Gottes. Du mich verstehen? Für einen Heiligen kann diese Offenbarung sein, hingehen und ein wenig mit Vögeln sprechen oder einer mendicante goldene Sachen schenken. Du verstehen meinen Gedanken? Aber ich, ich haben andere Offenbarung. Ich gehen in Stadt. Roma oder Firenze. Oder London. Kann auch Corcaigh sein. Ich suchen Anwalt auf, Apotheker, ospedale , Priesterseminar. Viele Stätten. Dann ich sprechen mit Leuten und sehen, was sie tun. Und dann, nach und nach, offenbart mir Gott, wo und wie ich kann machen Geschäfte mit ihnen. In einer Lederkiste ich haben meine Papiermuster, alles andere Qualität, und Gott sagen zu mir: ›Francesco, zeig Papier numero due .‹«
    Wie ich sehe, habe ich mich hier ein bißchen über die Sprache meines Vaters lustig gemacht, doch wird mir das ein eventueller Leser dieses Tagebuchs verzeihen, weil dieser Bericht tatsächlich einen gewissen Eindruck vermittelt, wie Francesco Ponti über das Thema Gott und günstige Gelegenheiten sprach. Und seine Worte riefen bei jenem Mittagessen etwas hervor, worüber ich und die Kinder staunten, weil wir es viele, viele Monate nicht gesehen hatten: ein Lächeln auf Johnnie O’Fingals Gesicht.

    Einige Tage später kam mein Vater in mein Zimmer, nachdem Johnnie zu Bett gegangen war, und sagte zu mir, er habe nun endlich begriffen, wie mein Mann aus seiner Verstrickung befreit werden könne. Mit der ihm eigenen, simplen Logik erklärte mir Francesco, daß er glaube, Johnnie O’Fingal habe die Musik, die er gehört habe, nicht wiederfinden können, weil es ihm an Fachwissen fehle. Er sei »ganz allein, ohne die Hilfe eines ausgebildeten Musikers« vorgegangen, und so sei das Scheitern seiner Bemühungen unvermeidlich gewesen.
    Ich wandte ein, es bestehe, wenn etwas im Traum erscheine, nur für den Träumer selbst Hoffnung, es wiederzufinden, doch Francesco erinnerte mich daran, daß Johnnie »sehr nah dran« gewesen sei, die Melodie auf dem Virginal zu spielen. Wenn ihm bloß ein erfahrener Komponist zur Seite gestanden hätte, um verschiedene Klangfolgen und Harmonien auszuprobieren, dann wäre die Melodie am Ende bestimmt aufgetaucht, und unser aller Leben wäre glanzvoller geworden.
    Ich äußerte weiterhin Zweifel und sagte, ich könne mir nicht vorstellen, wie irgend jemand etwas hören könne, was im Herzen eines anderen Menschen verschlossen sei. Doch mein Vater offenbarte mir nun, daß er seine Meinung eben an diesem Abend Johnnie gegenüber geäußert habe, und dieser habe ihm aufmerksam zugehört und schließlich gemeint, er wolle nun »versuchen, wieder zu Kräften zu gelangen, um es mit Hilfe eines angeheuerten Musikers erneut zu probieren«.
    Ich seufzte tief. »Vater«, sagte ich, »seit du da bist, ist Johnnie allmählich wieder ein bißchen normal und freundlich geworden. Dafür kann ich dir nicht genug danken. Doch bitte dränge meinen Mann nicht, seine Suche wiederaufzunehmen. Denn das treibt ihn bestimmt erneut tief in die Verzweiflung und ins Elend. Bleib einfach noch eine Weile, und setze deine Gespräche mit ihm fort, dann hege ich ein wenig Hoffnung, daß wir eines Tages wieder zu unserem alten Leben zurückkehren.«
    Liebevoll legte mir mein Vater die Hand auf den Kopf. »Francesca«, sagte er, »er ist ein Mann, der das Paradies gesehen hat. Du kannst jemanden, der dort gewesen ist, nicht daran hindern, zu versuchen, wieder dorthin zu gelangen.«

    Und so wurde das Schloß vom Virginal entfernt und ein Stimmer

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