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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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bestellt, um es spielbereit zu machen. Die Bibliothek wurde geputzt und neu gestrichen, und mein Vater brachte eine große Menge Papier und legte es neben den Notenständer. In der oberen Etage wurde ein Zimmer vorbereitet, und an dem Tag, an dem uns mein Vater verließ, um nach Bologna zurückzukehren, traf ein junger Musiker namens Peter Claire in unserem Haus ein.

WIE IST DAS MÖGLICH?
    Kirsten Munk war immer der Meinung gewesen, daß die Zimmer ihrer Frauen schlicht und einfach und ohne luxuriösen Schnickschnack sein sollten.
    »Das Fehlen von Luxus ist wichtig«, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt, »wenn ich die Kontrolle über sie behalten will. Schenkt man ihnen Luxus, dann glauben sie, dies sei ein Dauerzustand auf Rosenborg – als ob Federbetten vom Himmel fielen und Frisierkommoden aus Ebenholz aus dem Boden wüchsen. Wenn sie hingegen sehen, daß es nicht so ist, dann fragen sie sich, wie sie Sachen zum Wärmen und Schmücken ihrer anspruchsvollen Körper kriegen können. Und sie kommen darauf: Aller Luxus stammt von mir! Ich kann ihn gewähren und auch wieder nehmen. Und wenn sie das erst einmal erkannt haben, dann werden sie immer bemüht sein, mich zufriedenzustellen und nicht meinen Zorn zu erregen.«
    So kommt es, daß Emilia Tilsen nun, in ihrer ersten Nacht im Schloß, nicht in einem geräumigen und komfortablen Zimmer liegt, sondern auf einem schmalen Bett in einer hohen Kammer, ohne die Wärme eines Feuers und nur mit einer einzigen Kerze, die einen Lichtkegel gegen die Dunkelheit von Rosenborg bildet. Ihre Zudecke fühlt sich klamm an, als sei sie nie in der Sonne gelüftet worden, und Emilia friert. Sie läßt die Kerze an und legt ihren pelzbesetzten Umhang oben aufs Bett, das Fell ans Gesicht gedrückt.
    Sie denkt an Marcus. Sie sieht sein Gesicht vor sich, als stünde er hier, in diesem fremden Zimmer, direkt hinter der Kerzenflamme. Er hat große, umschattete Augen und preßt sich zum Trost ein Stückchen Stoff an die Wange. Er bittet Emilia inbrünstig, ihn nicht bei seinem Vater, Magdalena und seinen Brüdern, die Magdalena immer anflehen, ihnen nach dem Hinunterschlingen ihres Kuchenteigs die Finger abzulecken, zurückzulassen. Er sagt: »Wärst du doch nicht weggegangen!«
    Doch sie ist weggegangen. Zum erstenmal ist sie allein. Trotz der Kälte im Zimmer und ihrer Sorge um Marcus sagt sich Emilia, daß sie sich glücklich schätzen darf, hier in Kirstens Gefolge dienen zu dürfen. Sie steht am Anfang eines neuen Lebens. Sie ist Magdalena entronnen, ihrer Obszönität und Gehässigkeit. Sie bläst die Kerze aus und zwingt sich, in der Überzeugung einzuschlafen, einen guten Tag vor sich zu haben.
    Sie wacht auf, als jemand ihren Namen ruft.
    Emilia hat von den Erdbeerfeldern geträumt und glaubt erst, in Jütland zu sein. Dann sieht sie das von einer gerüschten Nachthaube umrahmte und einer Lampe beleuchtete Gesicht einer Frau.
    »Emilia«, sagt die Frau. »Wie du nur in einem derart eiskalten Zimmer so fest schlafen kannst!«
    Emilia setzt sich auf. Es ist warm im Bett, doch sie weiß, daß die Kälte der Nacht noch im Raum liegt. Bei dem Gesicht in der Nachthaube handelt es sich um das von Johanna, der ältesten von Kirstens Frauen.
    »Nun«, sagt diese, »bevor der Tag beginnt, muß ich dich vor einigem warnen, was du noch nicht weißt.«
    »Wovor …?«
    »Hansi und ich sind da einer Meinung: Du bist sehr jung, und wir können dich nicht unvorbereitet in den Tag hineingehen lassen. Ich flüstere, da es auf Rosenborg ebenso viele Spione wie Spinnen gibt. Doch hör mir gut zu!«
    Emilia drückt den Pelz des Umhangs fest an sich. Johanna nimmt einen Holzstuhl und trägt ihn zum Bett. Sie setzt sich, wobei sie die Lampe auf den Boden stellt, so daß sich plötzlich ein großer Schatten über der Wand ausbreitet und Emilia einen Augenblick erschrecken läßt. Seit Karens Tod bereitet es ihr immer Unbehagen, wie sich Schatten im Lichtschein einer Lampe mit so erstaunlicher Geschwindigkeit bewegen.
    Johanna legt ihre Hand auf Emilias, die den Umhang umklammert hält. »Versuche dir alles zu merken, was ich dir sage«, flüstert sie.
    Und dann schildert sie, welchen Demütigungen sie und die anderen Frauen im Dienste Kirsten Munks ausgesetzt sind. Sie erzählt Emilia von den »lächerlichen Bezeichnungen«, unter denen sie leiden, und von dem Vergnügen, das es Kirsten zu bereiten scheint, ihren Stolz zu verletzen, so daß jeder Tag »nicht nur eine, sondern sehr viele irritierende

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