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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Erniedrigungen einer Art bereithält, wie wir sie im Dienste der Gemahlin des Königs nie und nimmer erwartet hätten«.
    »Mein Titel«, fährt sie fort, »ist ›Frau für den Kopf‹. Doch meiner Herrin geht es immer und ewig nur um äußerliche Dinge. Meine Aufgabe besteht darin, ihr die Haare zu richten und zu schmücken, mich um ihre Gesichtshaut und ihren Ohr- und Halsschmuck zu kümmern. Sie verlangt nicht, daß ich mich mit den Gedanken und Plänen beschäftige, die in ihrem Kopf brodeln, ja, sie kann sich bestimmt nicht einmal vorstellen, daß ich davon etwas weiß. Doch da irrt sie sich! Was ich davon weiß, könnte sie aus dem Herzen des Königs verbannen, so daß sie auf der Straße liegt. Und vielleicht mache ich ja einmal Gebrauch davon …
    Es ist jedoch, Emilia, gar nicht so töricht, mich ›Frau für den Kopf‹ zu nennen. Mein Vater hat mich im Denken geschult – eigentlich mehr zufällig, weil er keine Söhne hatte und daher mit mir sprach, als wäre ich ein Mann. Er erzählte mir Fabeln über Gut und Böse, über Weisheit und Torheit und zeigte mir, wie eine Fabel den Verstand für die Wahrheitsfindung im täglichen Leben schärfen kann. Du siehst also, daß die Bezeichnung für mich treffend ist und ich Verantwortung für alle Frauen übernehmen und versuchen muß, ihnen zu helfen und sie vor Grausamkeit zu bewahren. Und deshalb bin ich hier, um dir zu sagen, an was für einem Ort des Elends du bist, und dich inständig zu bitten, dich zu bemühen, dir die Beleidigungen, mit denen du überschüttet werden wirst, nicht zu Herzen zu nehmen , sondern in ihnen nur belanglose Worte zu sehen, als würdest du nichts spüren außer der Luft auf deinen Wangen.«
    Emilia blickt in Johannas ängstliches Gesicht, auf ihre unter den weißen Rüschen in sorgenvolle Falten gelegte Stirn. Ihr liegt auf der Zunge, zu sagen, daß nichts auf Rosenborg schwerer zu ertragen sein kann als die Anwesenheit Magdalenas in just den Räumen, in denen sich ihre Mutter einst aufhielt, als Johanna noch näher kommt, so nah, daß sie ihren warmen Atem in der kalten Zimmerluft spüren kann, und mit einer fast zu geisterhaftem Flüstern gedämpften Stimme fortfährt: »Ich meine es nur gut mit dir, wenn ich dir jetzt von Dingen erzähle, die weit schlimmer sind als das, was wir Frauen erleiden. Unsere Herrin ist tief, ganz tief in einer Täuschung verstrickt, die bald ans Tageslicht kommen wird. Sie hat einen deutschen Liebhaber, den Grafen Otto Ludwig von Salm. Wenn der König weg ist, wird sie kühn und sorglos. Manchmal hören wir sie rufen und schreien. Wir mußten schwören, nichts zu verraten – du wirst es auch noch müssen. Wir müssen so tun, als seien wir taub und blind. Sie hat gedroht, wir würden den Tod durch Ertrinken erleiden, weit weg, in irgendeinem See Jütlands, wenn wir etwas über den Grafen oder die Flecken auf ihrer Haut sagen, wenn sie mit ihm zusammen war. Auch du mußt taub und blind sein, Emilia. Blind, taub und dumm.«
    Johanna weicht etwas zurück und blickt Emilia an, als wolle sie sehen, welche Wirkung ihre Worte auf das junge Mädchen haben, das keine besonderen Aufgaben bekommen hat, sondern nur den Titel »Universalfrau« in diesem Universum der Schatten und Geheimnisse. Emilia scheint ruhig zu sein. Überrascht, gewiß, die Augen sehr dunkel und groß im flackernden Licht der Lampe, doch nicht ängstlich. Johanna öffnet gerade den Mund, um noch Schrecklicheres kundzutun, als Emilia sagt: »Sie ist unglücklich.«
    »Wie bitte?« fragt Johanna.
    »Lady Kirsten. Sie hat zu mir gesagt, daß sie ›verachtet‹ wird.«
    »Natürlich wird sie verachtet! Von fast ganz Dänemark. Nur vom König nicht. Der König sieht sie nicht so, wie sie ist. Doch ich weiß, daß er schon bald aufwachen und bemerken wird, was sie tut.«
    »Menschen, die sich verachtet fühlen, tun vielleicht etwas, was sie gar nicht wollen …«
    Johanna lacht und hält sich gleich darauf die Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken. Dann steht sie auf, nimmt die Lampe wieder in die Hand und eilt zur Tür. »Du wirst es schon noch lernen, Emilia«, sagt sie. »Du wirst es lernen.«

    Emilia sitzt still im Dunkeln im Bett. Sie hört, wie sich Johannas Schritte auf dem Flur entfernen.
    Dann macht sie sich daran, das neue Wissen, das nun mit ihr in dem kleinen Zimmer zu hausen und zu atmen, einen kleinen Laut von sich zu geben und die Stille zu stören scheint, zu sichten und zu prüfen. Ihrer verlorenen Mutter stellt sie die

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