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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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ungekämmtem Haar, dünner Kleidung im Winter und der nicht abgeheilten Schuppenflechte auf der Stirn, bekamen sie Angst um ihre Zukunft. Früher war er immer an jedem Häuschen und jeder Hütte stehengeblieben und hatte mit den Bewohnern gesprochen, doch nun ging er an ihnen vorbei und erwiderte ihren Gruß nicht, und wenn sie ihn anflehten, wie es jetzt manchmal geschah, Reparaturen an ihren Dächern und Scheunen vornehmen zu lassen, der Feuchtigkeit Beachtung zu schenken, die sich in der Kirche eingeschlichen hatte oder Doktor McLafferty sein jährliches Gehalt für seine Fürsorge für sie und die Kinder zu zahlen, gab er ihnen keinerlei Antwort, sondern ging einfach weiter, als habe er nichts gehört.
    Natürlich ließ ich mich noch sehen, und sie legten dann flehend die Hände zusammen oder hielten sich den Kopf, als hätten sie Schmerzen, und sagten zu mir: »Oh, Lady O’Fingal, was für eine Katastrophe hat uns nur heimgesucht? Was hat Seine Lordschaft zu Boden gestreckt?«
    »Es ist ein Rätsel«, erwiderte ich dann. »Und ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wie man es lösen kann.«
    Dann versuchte ich die Leute zu beruhigen, indem ich sagte, ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um Geld für ihre Reparaturen und Arzthonorare aufzutreiben. Doch schon nach kurzer Zeit waren alle Einkünfte aufgebraucht, zu denen ich allein rechtmäßig Zugang hatte. Ich ging dann zu Johnnie (obwohl ich noch immer befürchtete, sein Abscheu mir gegenüber könne sich jeden Augenblick in einer Gewalttat Ausdruck verleihen) und sagte zu ihm: »Wenn du dich nicht mehr wie früher um alles auf dem Gut kümmern willst, mußt du mir die Mittel dazu geben. Du kannst nicht zulassen, daß deine Leute in undichten Häusern wohnen oder ihre Kinder krank werden oder sterben, weil ihnen kein Arzt zur Verfügung steht.«
    »Francesca«, sagte er und blickte mich dabei mit haßerfülltem Blick an, woran ich mich inzwischen allerdings gewöhnt hatte, »das Elend dieser faulen Bauern interessiert mich nicht. Was wissen sie schon von Leid, verglichen mit dem, was ich darüber weiß? Ich habe mich dem Erhabenen von Angesicht zu Angesicht gegenübergesehen, und sie sind ihm nie auch nur nahe gewesen. Ich habe die Melodie im Herzen des Universums gehört und sie dann wieder verloren.«
    »Aber Johnnie«, sagte ich, »daß du sie gehört hast, sollte dich noch mehr – und nicht weniger – geneigt machen, in allem wie ein ehrenwerter Mann zu handeln. Habe ich nicht recht? Ist dir in jener Nacht denn nicht etwas sehr Wohltätiges offenbart worden, nach dem du streben könntest? Und was hindert dich daran, auf eine andere Art als der musikalischen Komposition danach zu streben? Dir fehlt es nicht an Geld. Du brauchst mir nur das Recht zu erteilen, über einen Teil der Gutsgelder zu verfügen, dann werde ich mich bemühen, an deiner Stelle wohltätig zu werden, und alles wird wieder gut, und du wirst, das verspreche ich dir, bei deinen Spaziergängen und Träumereien nicht gestört.«
    Doch er gab nicht nach. Er jagte mich aus dem Zimmer. Er erklärte, ich sei wie alle meine Geschlechtsgenossinnen, solange ich lebe, unfähig, nach irgend etwas Edlem zu streben.
    Am Ende des Jahres hatte ich nicht einmal mehr genügend Geld, um die Hausangestellten und Lehrer der Kinder bezahlen zu können. Voller Scham und mit Angst und Furcht im Herzen ritt ich eines Tages nach Corcaigh und versetzte eine Diamantbrosche, die mir Johnnie zum fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte.
    Dann schrieb ich voller Verzweiflung an meinen Vater und bat ihn um eine Anleihe an seinem Papiergeschäft. Er gewährte mir diese umgehend, und da er von meiner Pein gehört hatte und sich mir gegenüber weiterhin wie ein liebevoller Vater verhielt, teilte er mir darüber hinaus mit, daß er sich, sobald es seine Zeit erlauben würde, auf den Weg von Bologna nach Irland machen werde, um alles daranzusetzen, eine Lösung für die Katastrophe zu finden, die uns heimgesucht hatte.

    Francesco Ponti war es dann auch, der das nächste Kapitel unserer traurigen Geschichte einleitete.
    Die Anwesenheit meines Vaters in unserem Haus übte aus mir unerfindlichen Gründen, wenn man einmal davon absah, daß er ein kluger und freundlicher Mann war, fast unmittelbar eine besänftigende, fast magische Wirkung auf den erschöpften Verstand des armen Johnnie aus.
    Er begann mit ihm zu sprechen. Ich weiß nicht, über welche Dinge sie sich unterhalten haben (mein Vater macht im Englischen

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