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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Frage: »Wie ist das möglich?«
    Karen sieht sie ernst an. Nach einer Weile schüttelt sie leise den Kopf, als wolle sie sagen, daß sie die Antwort auch nicht kenne.

TYCHO BRAHES REZEPT
    Schon bald nach der Beisetzung König Frederiks, als die Prunk-räume des Schlosses noch schwarz verhüllt waren, traf Bror Brorson zu einem Aufenthalt bei seinem Schulkameraden auf Frederiksborg ein.
    In der Koldinghus-Schule hatte es niemand, nicht einmal Hans Mikkelson, gewagt, Bror Brorson nach Christians Krankenwache im Hospital wieder in den Keller zu schicken. So waren die Schatten um Brors blaue Augen verschwunden, und sein Gesicht hatte wieder eine gesunde Farbe, so daß Königin Sofie ihren Sohn beglückwünschte, einen so hübschen Knaben zum Freund zu haben.
    Während seiner Genesung hatte sich Bror auch kräftig mit dem Schreiben seines Namens abgemüht, und nun war er manchmal in der Lage, die Ein-Wort-Unterschriftzu leisten, ohne daß etwas Schrecklicheres geschah, als daß er noch gelegentlich durcheinanderkam. Nach Christians Meinung würde in Brors Leben eine aus einem Wort bestehende Unterschrift genügen. »Als König«, sagte er, »werde ich auch eine Ein-Wort-Unterschrift haben, nur mit der kleinen › IV ‹ dahinter, damit ich mich von meinen Vorfahren unterscheide. Daher habe ich eine ausgezeichnete Idee, Bror. Warum gründen wir nicht eine geheime Gesellschaft nur aus dir und mir mit dem Namen ›Gesellschaft der Ein-Wort-Signierer?‹«
    Bror sagte, ihm gefalle der Gedanke einer geheimen Gesellschaft, solange diese keine schriftliche Satzung habe. Doch als Christian das Wort »Satzung« hörte, stieg in ihm sofort der Wunsch danach auf, und er verbrachte viele Stunden damit, eine mit seiner schönen Kalligraphie zu erstellen. Er las die Satzung dann seinem Freund laut vor und bat ihn nur noch um seine Unterschrift. Die letzte Bestimmung lautete:

    Die Unterschriften lauteten:

    Christian rollte das Dokument rasch zusammen und verschnürte es mit einem der schwarzen Bänder, mit denen seine Kammer seit dem Tod seines Vaters geschmückt war. Er erklärte die Satzung für perfekt.

    An den nächsten Tagen sah man viele schwarzgekleidete Adlige eintreffen, Mitglieder der Rigsråd oder des Staatsrats, um sich mit der Königin zu beraten. Sie kamen mit Papierbündeln und rannten mit wehenden, dunklen Rockschößen wieder hinaus, als liege die Zeit in ihrer Kleidung eingenäht und verfolge sie nun treppauf und treppab, über Höfe, in Wagen hinein und aus Wagen heraus.
    Christian und Bror standen an einem der hohen Fenster und beobachteten sie. »Sie scheinen«, meinte Bror, »die Rechnung noch nicht mit dir zu machen.«
    »Nein«, sagte Christian. »Wie dumm!«
    Nach dänischem Recht konnte sich der Sohn des toten Königs zwar König nennen, aber erst mit Zwanzig gekrönt werden. Solange lag es in den Händen der eiligen Adligen der Rigsråd und der Königin, das Land zu regieren. »Es ist kurzsichtig von ihnen«, sagte Christian. »Wir müssen einen Weg finden, um sicherzustellen, daß man mit mir rechnet.«
    So suchten die beiden Mitglieder der Gesellschaft der EinWort-Signierer Christians Großmutter, die Herzogin Elisabeth von Mecklenburg, auf, deren goldene Zöpfe nicht mehr golden waren, die aber ihrem Enkel, über den sie bis zu seinem zweiten Geburtstag Tag und Nacht gewacht hatte, auf ihre alten Tage nichts abschlagen konnte.
    Sie fanden sie in der Schloßküche, wo sie aus eingemachten Stachelbeeren Marmelade herstellte. Als sie mit Bror bekannt gemacht wurde, legte sie ihren geschlitzten Löffel aus der Hand und blickte ihn aufmerksam an. »Ich freue mich, daß du gerettet worden bist!« sagte sie.
    Sie halfen ihr beim Abwiegen des Zuckers und Umrühren der Beeren. Als sie ihr erklärten, daß der künftige König vergessen zu sein schien, sahen sie es in ihren Augen über den glänzenden, brodelnden Kupferkesseln belustigt aufblitzen und auf ihren dünnen Lippen ein Lächeln auftauchen. »Vergessen?« fragte sie. »Wie schandbar! Vergeßlichkeit können wir auf keinen Fall dulden. Wir müssen auf dich aufmerksam machen!«
    Sie überließ die Marmeladenherstellung den Köchen, und die Ein-Wort-Signierer folgten ihr zu dem Zimmer, das sie bei ihren Besuchen auf Frederiksborg immer bewohnte. »Nun«, sagte sie, »für einen solchen Tag habe ich mir etwas aufgehoben. Etwas, was Tycho Brahe aus Versehen heruntergefallen ist, als er hier war, um seine Weissagungen für dein Leben zu treffen. Ich hätte

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