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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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aus der das Dokument vermutlich stamme. Die Mitglieder des Herredag brüsteten sich damit, durch ihre genaue Kenntnis der Wirtschaft des Landes eine Fälschung zu enthüllen, und saßen zufrieden lächelnd um den großen Tisch herum. Der Fälscher stand in Lumpen, die Hände in Ketten, unglücklich vor ihnen.
    Christian hielt die gefälschten Papiere gegen das Licht. Sein Blick wanderte die Kanten des unechten Wasserzeichens entlang, er sah nur dessen außerordentliche Vollkommenheit. Er wünschte, sein Vater würde noch leben, damit er es ihm als Beispiel überragender dänischer Handwerkskunst ohne die geringste Schludrigkeit zeigen könnte. Er wandte sich an die versammelten Adligen und sagte: »Ich finde, es ist eine sehr schöne und echte Arbeit.« Dann blickte er zum Fälscher in seinen Lumpen hinüber und erklärte:
    »Eine Bestrafung ist nicht sinnvoll. Ihr habt eine besondere Fähigkeit, Sir, und werdet Eurem Land damit dienen. Ihr bekommt eine Stelle in der Königlichen Druckerei und fangt morgen früh dort zu arbeiten an.«
    Diese Ideen, diese Launen, diese Provokationen: Woher kamen sie bloß?
    Unter den Adligen verbreitete sich das Gerücht, Christian übernehme sie von seinem Freund Bror Brorson, der ungebildet sei, nicht richtig schreiben könne und die Welt mit unwissenden Augen ansehe.
    Bror war noch auf Frederiksborg, weil sich Christian einer Trennung von ihm widersetzte. Die Höflinge, die mit den Knaben auf die Jagd gingen, staunten über Brors Waghalsigkeit beim Reiten, seine Ausdauer bei der Jagd, seine Nichtbeachtung von Kratzern und Wunden, die er sich bei der Verfolgung von Keilern zuzog, und seine außerordentliche Schönheit. Er trug sein blondes Haar jetzt lang, so daß es beim Reiten hinter ihm herflog. Da er stundenlang an der frischen Luft war, war seine Haut gebräunt, und in seinen Augen, die dunkel umschattet gewesen waren, als er krank im Keller der Koldinghus-Schule lag, spiegelte sich nun der blaue Himmel wider. Doch im Laufe der Zeit wurde das Gemunkel der Adligen gegen ihn immer lauter. Bror hörte es nicht. Christian hörte es auch nicht. Doch es lag in der Luft.

    Eines Tages kam ein anderer Fall vor den Herredag , dessen Vorsitz der junge künftige König führte. Bei dem Beschuldigten handelte es sich um einen Schneidergesellen. Diesem Mann war es nach wochen-, ja monatelangem Bemühen gelungen, einen Bleistempel herzustellen, mit dem er die Unterschrift seines Herrn auf jedem Papier täuschend ähnlich nachbilden konnte. Er benutzte diesen Stempel auf Briefen und zum Versand von Zahlungsanweisungen an zahlreiche Händler, bei denen er Ballen von Wollstoff und Barchent bestellt hatte. Er verkaufte den Stoff dann (zu günstigen Preisen) an eine französische Näherin, die Kostüme für Zirkusartisten und Spielleute anfertigte. Mit dem so verdienten Geld erwarb er heimlich einen wilden arabischen Hengst.
    »Einen wilden arabischen Hengst?« fragte König Christian den Mann. »Was für ein seltsamer Kauf mit unrechtmäßig erworbenem Geld! Was kann ein Mann wie Ihr, der keinen Park zum Ausreiten und keinen Stallburschen zum Zureiten des Pferdes hat, mit solch einem Tier wollen?«
    »Nichts!« sagte der Schneidergeselle. »Ich wollte mir den Hengst nur ansehen können. Ich habe mein Leben lang von arabischen Pferden geträumt. Ich wollte nicht auf ihnen reiten, sondern sie nur anschauen, weil sie so schön sind.«
    Christian hörte die Mitglieder des Herredag in prustendes Gelächter ausbrechen, doch er selbst unterdrückte jedes Lächeln. »Wie heißt Euer Pferd?« fragte er.
    »Es hat keinen Namen, Euer Majestät«, sagte der Mann. »Ich habe versucht, mir einen auszudenken, doch ich finde, daß kein Wort unserer Sprache schön genug ist.«
    »Und was wird aus dem Pferd, wenn wir Euch ins Gefängnis werfen? Wer füttert es und kümmert sich darum?«
    Da warf sich der Schneidergeselle vor dem König auf die Knie. Könnte nicht König Christian selbst dieses wunderschöne Tier als Geschenk annehmen und es im Park von Frederiksborg dressieren lassen, damit es ihm im Turnierring zu Glanz und Ehren gereiche?
    Es wurde still im Gerichtssaal. Die Adligen des Herredag blickten in der schrecklichen Erwartung auf Christian, daß diesem gleich eine neue und noch wahnsinnigere Rechtsverdrehung über die Lippen kommen würde. Und sie hatten – in ihren Augen – recht damit.
    »Das Pferd soll Bror heißen«, verkündete der Königsknabe. »Laßt es noch heute nach Frederiksborg bringen.

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