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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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nur so aus. Es bedeutet nicht, daß er nicht mit George auf dem Rasen von Cookham Boccia spielen kann, nicht wahr?«
    Auf die Aussteuerliste hat Anne Claire bereits geschrieben:

    12 Paar Seidenstrümpfe
    12 Paar Strümpfe aus Leinengarn
    5 schlichte Leinenpetticoats
    2 einfache Stoffjacken für morgens

    Sie hält inne und sagt: »Boccia auf Cookham? Aber nein, Charlotte. Überhaupt nicht.«

AUS GRÄFIN O’FINGALS TAGEBUCH,
»LA DOLOROSA«
    An dem Tag, an dem Peter Claire bei uns eintraf, hörte ich in der Heide Lerchen und wußte, daß es wieder Frühling wurde.
    Dem Rat meines Vaters folgend, hatte ich nach einem Musiker gesandt, mir aber einen ältlichen mit langsamem Gang und in einem schwarzen Mantel vorgestellt. Als ich Peter Claire in der Halle stehen sah, verschlug es mir den Atem.
    Es war, als gehöre er zu einer Welt jenseits der Zeit, wo alles Lebendige endlich zur Vollkommenheit gelangt ist. In gewissen Augenblicken meines früheren Lebens hatte ich schon andere Bewohner dieses göttlichen Ortes erblickt: einen Grauschimmel auf einer Wiese ein paar Meilen von Bologna entfernt, ein zerlumptes Kind, das mich in Florenz von einem Marktstand aus beobachtete, und eine junge Frau, die an einem Brunnen saß und sich die Haare kämmte. Und ich war mir immer sicher gewesen, daß sie nur kurze Zeit hier unter uns auf Erden weilen würden, weil Gott bei ihrer Abwesenheit eifersüchtig wurde und seine Hand hinunterstreckte und sie wieder zu sich holte, bevor sie alt wurden, Unfreundlichkeit kennenlernten oder sahen, welche Veränderungen Leid einem Gesicht zufügen kann.
    Als sich Peter Claire von seiner Reise aus England ausgeruht hatte, machte ich ihn mit den nackten Tatsachen unserer Tragödie bekannt. »Glaubt mir, Mr. Claire«, sagte ich, »wenn ich Euch erzähle, daß mein Gatte einstmals ein guter und ehrenwerter Mann war. Er wird Euch jetzt als grausam, gewalttätig, eine geistesgestörte Seele erscheinen … Ich kann aber nicht glauben, daß der Mensch, der er früher einmal war, für immer verloren ist. Er wird zurückkehren, wenn Ihr nur Geduld mit ihm habt und ihm mit Euren ganzen musikalischen Kenntnissen und Fähigkeiten helft, von denen ich gehört habe.«
    Peter Claire sah mich freundlich an. Sein Blick war für mich so beunruhigend, daß ich spürte, wie ich errötete. Ich senkte den Kopf und tat so, als suchte ich in den Falten meines Rockes nach meinem Fächer, um ihn nicht merken zu lassen, welche Wirkung er auf mich ausübte.
    »Gräfin O’Fingal«, sagte er. »Ich freue mich mehr auf die Aufgabe, die ich vollbringen soll, als Ihr Euch vorstellen könnt. Schon immer, seit meiner Kindheit, liebe ich die Musik, habe aber nie genau sagen können, warum ich diese Liebe verspüre. Mein Vater, ein Geistlicher, meinte, sie drücke die Sehnsucht in der Seele des Menschen – und daher auch der meinigen – nach Gott aus, und das ist es wohl wirklich, dessen bin ich mir sicher.
    Es klingt jedoch das Warum nach. Ihm gesellt sich sehr oft ein Was hinzu. Was ist Musik und warum vernachlässige ich darüber alles andere, um mein Leben dieser allein zu widmen? Doch nun erkenne ich, daß, wenn ich Euren Mann durch ein Wunder in das Paradies zurückbringen kann, von dem er in seinem Traum einen Blick erhascht hat, meine ganze bisherige Arbeit nicht umsonst war, sondern vielmehr eine Vorbereitung auf diesen außerordentlichen Augenblick der Offenbarung.«
    »Oh, betet!« sagte ich inbrünstig und blickte nunmehr tief in Peter Claires blaue Augen. »Betet, daß es so sein möge.«

    Hoffnung ist eine seltsame Sache.
    Sie ist ein Opiat.
    Wir schwören, sie aufgegeben zu haben, und dann, siehe da, kommt der Tag, an dem unsere sklavische Abhängigkeit von ihr ohne jede Vorankündigung wieder da ist.

    So war es mit Johnnie O’Fingal und mir.
    Ich überredete Johnnie am Abend von Peter Claires Ankunft, in die Bibliothek zu gehen, wo er sofort sah, daß das Schloß vom Virginal entfernt und das Instrument gereinigt und zum Spielen vorbereitet war.
    Er nahm wortlos Platz, und ich erzählte ihm freundlich, daß ein junger Mann eingetroffen sei, der den Schlüssel zur Beendigung all unserer Sorgen besitze. »Heute abend«, sagte ich, »spielt er uns auf der Laute vor. Wir werden in diesem stillen Haus wieder Musik hören! Und dann nehmt ihr beiden morgen von neuem deine Arbeit auf. Mr. Claire ist ein sehr fähiger Komponist, und du wirst durch ihn wieder glücklich.«
    Johnnie blickte zu mir auf, und das war der

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