Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
bekommen. Es ist mir ein Rätsel, warum sie diese Frau will. Vibeke hat zwar ein ausgeglichenes Temperament und ist nicht gleich beleidigt, wenn ich sie schelte – so wie Johanna –, erfüllt aber ihre Aufgaben mit der Garderobe nicht so hervorragend, als daß es nicht auch eine Frau aus Boller machen könnte. Außerdem hat sie eine große Vorliebe für Leckereien, so daß man sie oft dabei erwischt, wie sie sich Damaszenerpflaumen, Quittentörtchen und löffelweise Aprikosencreme in den Mund stopft. Daher ist sie teuer, und es macht mir absolut nichts aus, sie wegzuschicken. Ich wundere mich nur, daß meine Mutter so darauf bestanden hat, und frage mich schon, ob sie mit der fetten Vibeke nicht einen geheimen Plan verfolgt.
Ich vermisse sie jedoch keinen Deut. Eigentlich bin ich aller meiner Frauen mit ihrem Schmollen und Klagen überdrüssig, und wenn sie mir unter die Augen kommen, möchte ich sie immer gleich wieder loswerden. Am liebsten würde ich sie alle wegschicken und nur noch Emilia behalten, um mich ganz zu betreuen. Doch meine Kleider und Juwelen, die nur fabrizierte und leblose Dinge sind, brauchen diese Schar der Unzufriedenen, um etwas reizbares Leben in sie hineinzustärken, -bügeln, -polieren und -dämpfen. An manchen Tagen bin ich in so widerborstige und steife Unterröcke geschnürt, daß sie meinen Körper noch hochhielten, wenn meine Füße den Boden nicht mehr berührten. Wird mir meine Rubinkette um den Hals gelegt, ist sie vom heftigen Polieren noch warm wie Blut.
Zur Hölle mit den Frauen! Wenigstens schenkte mir Gott Emilia, deren liebes Wesen, das schwöre ich, eine Waffe gegen meinen inmitten all meiner Täuschungen und nochmaligen Täuschungen vordringenden Wahnsinn ist.
Ich versuche sie wegen Marcus zu trösten. Ich sage ihr, daß wir Geduld haben müssen. Doch eines Tages erzählt sie mir: »Madam, ich habe geträumt, daß er ertrunken im Wassertrog gefunden worden ist.« Und ich merke, daß sie vor Sorge um ihn zerstreut ist. Wenn sie mir vorliest, schweifen ihre Blicke plötzlich vom Buch ab. Wenn wir Karten spielen, verliert sie manchmal alle Übersicht darüber, wer gewinnt.
Ich versuche ihre Ängste zu beschwichtigen, indem ich sie, wie versprochen, mitnehme, um Geschenke für Marcus zu kaufen. Wir haben bisher schon einen mechanischen Vogel (der wie eine Uhr mit einem Schlüssel aufgezogen wird und dann seinen Schnabel öffnet und einen eisigen Triller ertönen läßt), einen Matrosenhut, scharlachrote Stiefel und ein Kätzchen abgeschickt. Ich habe meiner Mutter geschrieben, sie solle bei ihrem nächsten Besuch bei den Tilsens nach diesen Geschenken fragen und darum bitten, daß sie ihr gezeigt werden. Das Kätzchen heißt Otto.
Meine einzige Lasterhaftigkeit in diesem eintönigen Monat hängt mit meinen Sklaven Samuel und Emmanuel zusammen.
Der König entsprach meiner Bitte und schenkte sie mir, damit sie nur mir dienen und nur mir gehorchen und niemandem sonst. Daß sie nicht bezahlt werden, sondern ihr Leben wirklich als Sklaven fristen – wenn man einmal davon absieht, daß sie schöne Kleider tragen und nicht angekettet sind –, erregt mich auf seltsame Art und Weise. Ich weiß genau, daß es ein verwerfliches Gefühl ist. Dennoch habe ich es. Und ich glaube, es hängt ganz einfach mit der Tatsache zusammen, daß ich mich in meinen Pflichten als Gemahlin des Königs selbst in der Position einer Sklavin fühle, weil ich keine eigene Macht besitze, sondern nur die, welche ich vermittels meines Körpers oder meiner Schlauheit ausüben kann.
Diese meine Erregung ist ein seltsames Phänomen, und ich werde niemandem davon erzählen, nicht einmal Emilia, weil ich sicher bin, daß sie es nicht gern hören würde. Ich will aber nicht verhehlen, daß am Montag dieser Woche in mir Vergnügen aufkeimte, als ich ganz allein in meinem Zimmer speiste und diese beiden Negerknaben (Botschafter Langton Smythe schätzt, daß sie etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sind) neben meinem Stuhl knieten, auf dem Kopf Platten und Körbchen mit Delikatessen für mich, aus denen ich mit meinen schlanken, weißen Händen aussuchen und auswählen konnte.
Ich begann dann ein Gespräch mit mir selbst, in dem der eine Teil von mir sagte: »Kirsten, bist du nicht eine schamlose, entartete Person, daß du so etwas in dir spürst?« und der andere Teil fragte: »Ist ein Sklave nicht dazu da, alles zu tun, was du ihn heißt, Kirsten, ganz gleich, was es ist?«
Ich stand auf und trat ans
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