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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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gedacht hatte, welche hinzustreuen.
    Und dann hört er es: die sich öffnende und schließende Tür; ihre Schritte auf der Steintreppe. Und da ist sie! Sie trägt ein braunes Kleid und ein schwarzes Samtband um den Hals.
    Peter Claire erhebt sich und geht zu ihr hinüber. Er verbeugt sich vor ihr; sie bleibt stehen und blickt sich um, offenbar erstaunt darüber, wo sie sich befindet. Er streckt die Hand aus, die sie nach kurzem Zögern nimmt, und führt sie zu dem ihm inzwischen so vertrauten Rund von Stühlen und fragt sie, ob sie sich setzen möchte. Sie schüttelt den Kopf und sieht sich weiter nach all den unerwarteten Dingen in diesem dunklen Keller um.
    Der Lautenist hat gemerkt, wie schwach seine Stimme geworden ist. Doch im Innern muß er über diese erbärmliche Kleinheit lachen, weil jetzt nichts mehr zählt, nicht einmal die Tatsache, daß er kaum sprechen kann, denn sie ist zu ihm gekommen! Sie ist bei ihm, und er steht neben ihr, und das, wonach er sich gesehnt hat, wird Wirklichkeit, während die Minuten verstreichen. »Miss Tilsen …«, beginnt er mit etwas festerer Stimme. »Emilia …«
    Er wünschte, sie würde etwas sagen, um ihm zu helfen, doch sie schweigt. Und eigentlich hat sie ihn auch kaum angesehen. Sie schaut unbehaglich auf den Hühnerkäfig. Er folgt ihrem Blick und hat sofort das Gefühl, er müsse sich entschuldigen, weil er sie an einen so merkwürdigen Ort gebeten hat. Doch bevor er etwas darüber sagen kann, fragt sie ihn: »Warum haltet Ihr hier Hühner?«
    »Oh …«, stottert er, »das tue ich nicht. Ich meine, es sind nicht unsere, nicht die des Orchesters. Es war nicht unsere Idee. Es wäre uns lieber, sie wären nicht da, weil es manchmal ganz schön schwierig ist, uns zu hören, unser Zusammenspiel, weil …«
    »Haben sie denn kein Wasser?«
    »Nein! Doch! Es war immer Wasser da … in einem kleinen Metallgefäß …«
    »Das ist trocken, Mr. Claire. Seht doch!«
    Er blickt auf die Schale und sieht, daß sie tatsächlich leer ist. Er wünschte, es gäbe hier unten einen Brunnen oder Wassereimer, damit er den Behälter schnell füllen und Emilias Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken könnte. Er sieht sich um, als hoffe er, einen solchen noch nie zuvor bemerkten Brunnen oder Eimer aufzuspüren, als Emilia sagt: »Ihr ganzer Käfig sieht so trocken aus, nichts als Staub! Wer kümmert sich denn um diese Tiere?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Aber ich dachte, Ihr würdet hier jeden Tag spielen?«
    »Ja. Jedenfalls im Winter. Die meisten Tage im Winter, wenn der König im Vinterstue ist …«
    »Doch keiner von euch kümmert sich um die Hühner?«
    »Emilia!« möchte er sagen. »Warum redet Ihr über diese Hühner? Warum helft Ihr mir nicht, die Worte zu finden, mit denen ich Euch meine Liebe erklären kann?« Doch nun weiß er nicht, was er antworten soll. Er verflucht sich, weil er die Verabredung in den Keller gelegt hat. Warum nur hat er nicht das Sommerhaus oder den Blumengarten gewählt, wo sie sich zum erstenmal trafen? Er hat den Keller gewählt, vermutet er, weil er wollte, daß sie dieser kalte Ort, wo er so viel Zeit seines Lebens verbringen muß, begreifen läßt, was für eine Art Mann er ist, nämlich einer, der zu Opfern fähig ist. Und nun findet sie ihn wegen der elenden Hennen bloß pflichtvergessen und grausam. »Emilia«, sagt er schließlich. »Emilia. Wir holen gleich Wasser für die Hühner, doch bitte hört mir erst einmal zu …«
    Jetzt sieht sie ihn an. Sie verhält sich sehr ruhig, doch er sieht, daß sie zittert. Er weiß, daß ihre Gedanken zwischen ihm und den Hühnern hin und her fliegen, hin und her, weil sie nicht wissen, wo sie sich niederlassen sollen. Sie senkt den Blick, als er unbeholfen sagt: »Als ich Euch das erstemal im Garten sah und dann im Gang … da habe ich etwas gefühlt, was mir neu ist, völlig neu. Ich möchte es Liebe nennen. Liebe scheint das richtige Wort dafür zu sein. Aber wollt Ihr mir nicht sagen, wofür Ihr es haltet? Wollt Ihr mir nicht sagen, was Ihr fühlt?«
    »Was ich fühle? Aber ich kenne Euch doch gar nicht, Mr. Claire! Was soll ich für jemanden fühlen, den ich kaum kenne?«
    »Natürlich, ich sollte das nicht so früh fragen! Doch ich weiß, daß zwischen uns ein Einvernehmen war. Ich weiß es! Wollt Ihr mir denn nicht sagen, was dieses Einvernehmen Eurer Meinung nach war?«
    Sie zittert. Mit ihren kleinen Händen umklammert sie den Stoff ihres Kleides. Er zieht es vor, zu glauben, daß sie ihm antworten

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