Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Pest, so daß die Hochzeit von Christian und Anna Katharina in Jütland stattfand. Sie sollte ruhig und geordnet sein, doch am Morgen kam vom Skagerrak ein heftiger Sturm angefegt, so daß der Himmel nachtschwarz wurde und die Luft voller fliegender Wetterhähne, Ziegel und Regen war.
In der Dunkelheit des Palastes in Hadersleben lag auf der Haut der jungen Königin ein leuchtendweißer Schimmer. Obwohl auf ihr Gesicht nicht mehr Licht fiel als auf die anderen Gesichter, hob es sich deutlich von ihnen ab, und Christian fragte sich, ob er, wenn er sich in der stockdunklen Nacht bei zugezogenen Bettvorhängen zu ihr umdrehen würde, diesen leuchtenden Mondstein neben sich auf dem Kissen erblicken würde.
Die Hohenzollern flohen vor der Pest und strömten in ihren weiten Umhängen und hohen Hüten nach Jütland. Die Männer waren groß und rochen nach etwas Starkem und Beißendem wie Schießpulver. Sie waren stolz und laut und brüllten ihre Frauen an. Doch diese glichen dem Himmel, den der Lärm des Donners nicht rührt, oder der Sonne, die im Wasser glitzert, das vom Gewitter zurückgelassen worden ist. Und König Christian betete, daß Anna Katharina auch so sein, auch diese Gelassenheit haben würde.
In der Hochzeitsnacht lagen der junge König und die Königin müde vom stundenlangen Feiern nebeneinander im Bett und unterhielten sich bis in die frühen Morgenstunden, leicht berührten sich ihre Hände, ehe sie engumschlungen einschliefen.
Anna Katharina erzählte Christian, daß sie eine schamlose Schwäche für Perlen habe, in den Wäldern Deutschlands »eine schönere Stille herrsche als sonstwo auf Erden« und ihr kleiner Mops Anders heiße, sie ihn aber aus ihr selbst unerfindlichen Gründen Joachim nenne.
Christian sprach über sein Bauprogramm, seine Waffenlager, Befestigungen, Paläste und Kirchen, über seine Schiffe, die das Land über Wasser hielten, und über seinen Traum von einem großen Kanal von Rømø bis zur Ostsee.
Im Morgengrauen, als ihnen die Augen zugefallen waren und sie fast schon schliefen, sagte er: »Wir wissen, daß Körper auf die Erde fallen, kennen aber nicht die Natur dieser mit ›Schwere‹ bezeichneten Sache.« Und er sagte, er wolle bei seinen großen Bauvorhaben »dieser Schwere trotzen und die Städte Dänemarks in den Himmel wachsen lassen«, worauf die neue Königin erwiderte, daß sie dies für eine wunderbare Idee halte.
Als Christian im stockfinsteren Bett mit den zugezogenen Vorhängen aufwachte, wußte er erst nicht, wo er war und wer bei ihm war. Doch dann sah er Anna Katharinas weißes und stilles Gesicht, das aussah wie ein Ei, das unverschämterweise auf das Spitzenkissen gelegt worden war.
Und nun besucht er in seinen Träumen die Ziegeleien in Elsinore. Er gibt Anweisungen, mehr Männer einzustellen und die Produktion zu verdreifachen, weil er weiß, daß seine Bauprojekte überall im Land in Rückstand geraten sind und seine halbfertigen Kirchen, Lager und Fabriken ohne Dächer den Elementen preisgegeben sind.
Und dann – als sei er plötzlich ein Hexer geworden, der durch den Sternenstaub saust und auf Bergspitzen oder auf den Decks riesiger Schiffe landet – ist er in Bredsted, wo die Deiche zu brechen beginnen. Er blickt aufs Meer, als wolle er dessen Ungestüm mit seinem messen. Als Wagenladungen mit Felsgestein eintreffen, ruft Christian den Lenkern, den armen Mauleseln, die sich abmühen, die Wagen über die beschädigten Wege zu ziehen, der von Meeresvögeln erfüllten Luft und den tosenden Wellen zu: »Wir werden zurückgewinnen, was uns das Meer genommen hat!«
Er hört jedoch selbst, daß seine Stimme erschöpft klingt. Seine Mandeln schmerzen. Er spürt seine Sterblichkeit in allen Knochen und weiß, daß die Aufgaben, die ihn erwarten, immer größer sind … nur ein kleines bißchen größer, als er lösen kann …
Er erwartet dann, aufzuwachen und einen weiteren Tag von dem vertrauten Gefühl, daß die Dinge wegtauchen oder dem Ruin anheimfallen, verfolgt zu werden, tut es aber nicht. Er fliegt noch einmal davon. Er findet sich in dem alten Kinderzimmer auf Frederiksborg wieder, wo Anna Katharina bei den beiden kleinen Prinzen Christian und Frederik sitzt und der Mops Anders/Joachim am Feuer schnüffelt und niest.
Anna Katharina hat das Kinderzimmer oft besucht. Ihre Liebe zu den Kindern kam und ging nicht wie Kirstens, glitt auch nie in Grausamkeit ab, sondern war etwas Unvergängliches. Sie dort zu beobachten, wie sie die Kinder auf
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