Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Lampe und ging in den Keller hinunter. Im Haus war es früh-herbstlich kühl, und die Luft im dunklen Lager ihres Geldes war so kalt, daß sie ihren eigenen Atem sehen konnte, als sie den Deckel von einem randvoll mit Gold gefüllten Faß hob und die Münzen durch die Hände gleiten ließ.
In ihrem Gold lagen alle Leidenschaften ihrer Vergangenheit und aller Trost für ihre Zukunft. Die stille Steigerung seines Wertes war das einzige auf der Welt, was sie noch erregen konnte. Sie würde ihren Schatz mit ihrem Leben verteidigen.
Doch als sie jetzt so mit der Lampe dastand und ihren eigenen geisterhaften Schatten an der Wand sah, wußte sie plötzlich, daß das Gold nicht gut genug vor der Welt versteckt war. Bis zu diesem Tag hatte sie es für vollkommen sicher gehalten, doch das war es nicht. Denn wenn Christian wollte, konnte er Männer herschicken, um das Schloß zu durchsuchen. Diese würden dann mit Pickeln und Äxten die Schlösser der Kellertür aufbrechen, und dann würden die Fässer und Barrenstapel ans unerbittliche Tageslicht gebracht. Sie würde zwar versuchen, sie zu bewahren und zu verteidigen, doch man würde ihr sagen, sie seien im Auftrag des Königs beschlagnahmt. Von diesem Augenblick an würde ihr Leben nur noch aus Herzeleid und Schrecken bestehen.
So liegt sie nun mit ihrer Schminke und ihrem Puder auf ihrem Tagesbett und träumt von einer tief ins Granitfundament Kronborgs gegrabenen Grube. Sie selbst würde, eingehüllt von der langen dänischen Nacht, ihr Gold dort versenken, Barren für Barren, Sack für Sack. Mit eigenen Händen würde sie Erde darüber schaufeln und dann den Befehl erteilen, die Grube aufzufüllen und wie ein Grab abzudecken. Mit der Zeit würden dann Gras und Unkraut (und sogar Bäume) in der Erde wachsen, und niemand außer ihr würde wissen, wo die Grube war und was sie enthielt.
Könnte irgend etwas, irgendein Ort sicherer sein als eine Grube im steinigen Boden? »Nur das Meer!« lautet da die Antwort. »Nur ein Begräbnis auf dem Meeresboden, zu tief für die Netze der Fischer und die Kiele der Kriegsschiffe.« Doch was nützt ein Versteck, das sie selbst nicht erreichen kann? Sie stellt sich vor, wie sie in die Tiefe des Sunds hinabtaucht, von einem Schwarm Flundern angestupst, ohne Luft und ohne Licht, um eine Tasche Münzen heraufzuholen, und zittert vor Entsetzen. Doch sogar das, wenn es für einen Menschen im Bereich des Möglichen läge, würde sie lieber tun, als sich den Schatz ihres Lebens rauben zu lassen. Und so fällt sie mit entschlossenem Gesicht in einen angstvollen Schlaf.
Am folgenden Tag erteilt sie die Aufträge zum Ausheben der Grube. Sie soll außerhalb der Schloßzinnen sein, im Schatten eines Ulmen- und Eichenwäldchens.
Sie spricht nicht von einer Grube, gibt aber die Anweisung, daß es eine tiefe Ausgrabung sein muß. Sie gibt vor, sie sei für das Fundament eines Sommerhäuschens, für eine Laube, um dort an ihrem Lebensabend zu sitzen und zu stricken – so wie einst heimlich mit ihrer Zofe auf der kleinen Insel bei Frederiksborg – und, wenn sie Lust dazu hat, zu beobachten, wie die Sonne auf- und untergeht, und sich langsam auf ihre Begegnung mit Gott vorzubereiten.
Ihre Handwerker sagen ihr, daß man für ein schlichtes Sommerhaus kein tiefes Fundament benötigt, sondern es einfach auf den Boden setzen kann. Königin Sofie sieht sie einen Augenblick lang bestürzt an, erklärt dann aber rasch mit fester Stimme:
»Meine Laube muß tief in die Erde reichen, dorthin, wo wir, wenn unsere Zeit gekommen ist, alle liegen werden.« Und sie nicken und fragen sie, wie tief es denn sein soll, und Königin Sofie antwortet, so tief, daß Männer oder Frauen aufrecht darin stehen können, »damit ich den Eindruck habe, sie trügen die Laube auf ihren Köpfen«.
Die Arbeit wird in Angriff genommen und schon bald beendet sein. Doch kaum hat sie begonnen, bekommt die Königin Alpträume, weil in ihr Zweifel an der Grube aufsteigen. Denn wie kann eine Grube außerhalb der Zinnen bewacht werden? Sie kann auf einem leeren Platz keine Wache aufstellen, ohne Argwohn zu erwecken. Und in der Nacht könnten die Wachen mit Fackeln kommen und unter dem Gras herumwühlen … und unter den Bürgern und Bauern von Elsinore kämen Gerüchte auf, daß das Gold der Königin unter freiem Himmel liege und sich jeder daran bedienen könne. Eines Tages würde sie dann einen Sack Münzen holen wollen und graben und graben und nichts vorfinden außer schwarzer Erde
Weitere Kostenlose Bücher