Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
wäre die Musik ja besser, wenn die Kritzeleien hübscher wären? Oder würde es nicht den geringsten Unterschied machen? Ich muß gestehen, daß ich von der öden Angelegenheit Musik nichts weiß.
Ich hielt nach Briefen Ausschau und fand in einer unteren Schublade schließlich auch einen. Es war jedoch kein Liebesbrief, sondern nur ein Schreiben vom Vater des Lautenisten, in dem dieser seinen Sohn vom Tod des dortigen Chorleiters unterrichtete und ihn bat, nach Hause zu kommen, um diese niedrige Position anzutreten. Ich überlegte einen Augenblick, welche Antwort Mr. Claire seinem Vater darauf gegeben haben mochte. Denn wer auf der Welt wird schon eine Stelle im Königlichen Orchester Dänemarks gegen die eines Chorleiters in irgendeinem provinziellen englischen Bistum austauschen? Ich muß schon sagen, daß der Vater des Lautenisten ein Narr ist und keinerlei Ahnung von der Welt hat.
Ich legte dieses mitleiderregende Schreiben wieder in die Schublade und fühlte mich schon ein wenig entmutigt, weil meine Nachforschung nichts ergeben hatte, was mir für meine Strategie mit Emilia von Nutzen sein konnte, als ich bemerkte, daß im Staub unter dem Bett, als wäre er dort hastig versteckt worden, ein weiterer Brief lag. Ich hob ihn vorsichtig auf, wobei ich mir die genaue Position auf dem staubigen Boden einzuprägen versuchte, und begann ihn zu lesen …
Nun habe ich es also!
Peter Claire war der Geliebte einer irischen Gräfin. Seit kurzem verwitwet, wünscht sie eindeutig, daß er zu ihr zurückkehrt.
Ich griff nach einem Federkiel und zog unten aus einem Stapel ein Notenblatt heraus. Dieses drehte ich um und übertrug nun auf die leere Rückseite sorgfältig gewisse Sätze der Gräfin, nämlich:
Trägst Du noch den Ohrring, den ich Dir geschenkt habe? und Wo immer Du bist, Peter Claire, wisse, daß ich Dich leidenschaftlich geliebt habe! , wobei ich im stillen dachte, wie gewöhnlich und öde doch oft die Sprache der Liebe klingt, und von Herzen glücklich war, daß Otto und ich keine solchen sentimentalen Worte gebrauchen, sondern statt dessen die köstlichsten Beleidigungen austauschen.
Doch meine Gedanken eilen weiter. Wenn ich es richtig beurteile, ist die Gräfin eine gesellschaftlich hochgestellte Frau, die der Graf angenehm reich zurückgelassen hat und die noch jung genug ist, um ein zweites Mal zu heiraten. Ein Mann wie Peter Claire, der sein Fortkommen und seinen Ruhm im Auge hat, täte sehr gut daran, sich unter die Schirmherrschaft einer solchen Person zu stellen, um frei von allen finanziellen Sorgen zu sein und spielen und komponieren zu können, wo immer er will. (Er wird nicht lange in Dänemark bleiben. Das tun die englischen Musiker nie. Etwas ruft sie auf ihre flache und neblige Insel zurück.)
Ich komme also zu dem Schluß, daß er so handeln wird. Ich brauche überhaupt keine Geschichte zu erfinden. Denn zeigt dieser Brief, den ich jetzt in der Hand halte, nicht klar die Zukunft des Lautenisten? Emilia Tilsen ist bloß ein süßes Mädchen, dessen Aussehen ihn mit Zärtlichkeit erfüllt, das er jedoch, noch bevor das Jahr zu Ende ist, verlassen wird. Er wird zur Gräfin O’Fingal zurückkehren und sie zu seiner Frau machen.
Ich werde den richtigen Augenblick sehr sorgfältig auswählen und Emilia, wenn es angebracht erscheint, die Sätze zeigen, die ich vom Brief abgeschrieben habe, und ihr sagen, daß Peter Claires Schicksal nicht in Kopenhagen, sondern woanders liegt, in einem Ort, von dem ich noch nie gehört habe und der Cloyne heißt.
DIE STILLE SEELE
Wenn sich König Christian Sorgen macht wie jetzt, sieht er sie in seinen Träumen. Man könnte meinen, sie wüßte, welche Qualen und Demütigungen ihn Kirsten mit ihrem deutschen Geliebten erleiden läßt, und sei nun an seiner Seite, um ihn zu trösten. Womit trösten? Sie war fromm, sprach leise und hielt öfters mit Gott als mit ihm Zwiesprache. Sie liebte ihren Mops Joachim. Sie war groß, knochig, hellhäutig und machte auf ihrem Pferd eine sehr gute Figur. Sie gebar ihm sechs Kinder. Sie war seine erste Frau.
Sie hieß Anna Katharina von Brandenburg aus dem Hause der Hohenzollern. Er heiratete sie gleich nach der Krönung, als sie beide zwanzig Jahre alt waren. Der Titel, Königin von Dänemark, bereitete ihr stets Vergnügen und rief ein Lächeln bei ihr hervor, als flüstere ihr jemand, immer wenn er öffentlich ausgesprochen wurde, eine amüsante Geschichte ins Ohr.
Als sie heirateten, herrschte in Deutschland die
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