Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
schon schlechter Laune, bevor sie in den Spiegel schaute. Christian hatte sie zum Mittagessen besucht, und der Geruch der gebratenen Ente und des gedünsteten Kohls hatte in ihr Erinnerungen an die verhängnisvolle Gier König Frederiks erweckt, die sie allzufrüh zur Witwe gemacht und ihr die Königinkrone weggeschnappt hatte. Entsetzt schweigend hatte sie ihren Sohn beobachtet, wie er mit den Zähnen das Fleisch von der Brust und den Keulen der Ente riß.
    Und dann hatte sich aus seinem Mund ein Sturzbach von Gejammer ergossen. Er erzählte ihr, daß in der Numedal-Mine eine gewaltige Explosion stattgefunden habe, bei der die Ingenieure, die Leute, die er »Genies der Mine« nannte, sowie Hunderte von Bergleuten getötet und andere zu Krüppeln gemacht worden waren und durch die der Silberabbau auf unbestimmte Zeit zum Stillstand gekommen sei.
    »Der Isfoss «, sagte König Christian, »ist eine Begräbnisstätte, und das Erz ist noch immer im Berg eingeschlossen. Das Ende von Dänemarks Leid war schon in Sicht, und nun hört es doch nicht auf. Und was soll ich mit den Leuten vom Isfoss machen? Ich habe mit ihnen auf die Zukunft angestoßen! Ich habe ihnen gesagt, sie würden einen Anteil am Silber bekommen, und nun haben sie nichts – viel weniger als zuvor!«
    Königin Sofie saß ganz still da und aß ihr Stückchen Flunder mit den delikaten Meerfenchelkräutern. Sie sagte nichts zu den Todesfällen im Numedal, auch nichts zu dem ausstehenden Silber, sondern wartete, wie jemand, der von einem merkwürdigen Zauber befallen ist, bis ihr Sohn auf den Grund seines Besuchs zu sprechen kam. Sie wußte, daß er gekommen war, um sie um ihr Gold zu bitten.
    Als dann die Bitte ausgesprochen war, spürte Königin Sofie eine seltsame Erleichterung, wie ein Schauspieler, wenn er endlich auf der Bühne steht und ihm der Text des Stückes problemlos einfällt. Ja, es war so, als habe sie sich seit langer, langer Zeit auf diesen Augenblick vorbereitet, so daß sie jetzt eine fehlerfreie Vorstellung bieten konnte.
    Sie hob die Platte mit den Flundergräten hoch und hielt sie ihm hin. »Mein Lieber«, sagte sie ruhig, »davon lebe ich – von Fisch aus dem Sund. Die Gewässer von Elsinore halten mich am Leben. Doch was das Gold betrifft: Ich habe keins.«
    Christian blickte auf die Gräten, fast, als hoffe er, dort welches zu finden, ein Funkeln des Erzes zwischen dem grünen Meerfenchel. Er sah jetzt ein wenig verwirrt aus und wollte gerade etwas sagen, als die Königin die Platte hinstellte und fortfuhr. »Ganz aufrichtig«, sagte sie, »ich würde dir ja gern helfen! Es gibt da ein paar Silbersachen – Spiegel, Kerzenhalter und einen Samowar, den dein Vater vom Zaren ganz Rußlands geschenkt bekommen hat –, diese kannst du gern haben, wenn sie dir fürs erste aus deiner mißlichen Lage helfen. Ich lasse sie von den Dienern nach Rosenborg bringen. Doch was einen Schatz betrifft: Würde ich Fisch essen, wenn ich eine reiche Frau wäre? Natürlich habe ich ein paar Schmuckstücke, doch das waren Geschenke deines Vaters, und ich würde es nicht für richtig halten, wenn du sie mir wegnimmst.«
    »Ich spreche nicht von Schmuck …«, sagte Christian.
    »Nein, das habe ich auch nicht geglaubt. Du nimmst an, daß es auf Kronborg ein verstecktes Lager von Reichtümern gibt. Ich nehme an, daß Kirsten diese Geschichte in die Welt gesetzt hat, doch nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Ich habe nur das, was mir als Königinwitwe zugedacht war, als dein Vater starb, und ich muß allein mit dieser kleinen Rente meinen Lebensunterhalt aufbessern. Zum Glück bin ich nicht eine Person mit teuren Vorlieben und Bedürfnissen …«
    »Mutter«, unterbrach sie Christian verärgert, »ich habe gehört, daß du ganz allein Dänemark vor dem Ruin retten könntest, wenn du nur wolltest.«
    »Dänemark vor dem Ruin retten!« Aus Königin Sofies Kehle entrang sich eine eisige Lachsalve, und sie streckte ihre dünnen Arme aus. »Wenn es da ›Ruin‹ gibt, mein lieber Sohn, dann kommt er von innen – von der Angewohnheit, zu raffen und auszugeben –, eine Krankheit unserer Zeit. Der Adel soll sich mal um seine eigene Rücksichtslosigkeit und der Bürger um seine kleinliche Gier kümmern! Das Land soll sich mal seines fetten Bauches schämen! Warum gibst du keinen Erlaß gegen den Luxus heraus? Du solltest den oberen Klassen ins Gewissen reden, nicht mir, denn ich habe nichts.«

    Kaum war Christian gegangen, nahm Königinwitwe Sofie eine

Weitere Kostenlose Bücher