Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Emilia.
»Ja, sicher!« erwiderte ich. »Noch nie in meinem Leben habe ich einen so gutaussehenden Mann wie diesen kennengelernt, der nicht drei oder vier Amouren gleichzeitig laufen hatte. Und leider ist dies ziemlich sicher auch bei deinem Lautenisten der Fall. Willst du die armselige fünfte Amour in einem überfüllten und betrügerischen Leben sein?«
Emilia sah geknickt aus, als wir durch den Rosengarten gingen, doch ich nahm ihre Hand und sagte freundlich: »Emilia, meine Liebe, es geht mir nur um dich! Wie soll man zwischen wirklicher und falscher Aufrichtigkeit unterscheiden? Ein Mann wie dieser, den die Frauen auf den ersten Blick lieben, versteht sich sehr gut auf honigsüße Worte und liebeskranke Gedichte.«
Emilia nickte traurig. Als wir wieder in meinen Gemächern waren, versicherte ich ihr, daß ich ihr Advokat sein und mich beim König für sie verwenden würde. »Vielleicht bist du dann«, meinte ich, »wenn es Winter wird, eine Braut!«
Und Emilia lächelte und dankte mir und sagte, ich sei gut.
Ich bin nicht gut. Ich habe sie im Hinblick auf mein Advokatentum belogen.
In Wahrheit ist es so: Auch wenn sich Emilias Verehrer als ihrer würdig erweisen und sie bis ans Ende der Welt lieben sollte, könnte und würde ich sie nicht gehen lassen.
Ich bin nämlich zu der Überzeugung gelangt, daß Emilia Tilsen in meinem schrecklichen Leben auf dem Seil über dem Abgrund die einzige Person ist, die mich oben hält. Selbst Ottos Abwesenheit kann ich ertragen, wenn ich mit Emilia zusammen bin. Sogar das! Denn ihre Stimme beruhigt mich, ihre Blumenbilder gehen mir zu Herzen, ihre Listen beim Kartenspielen amüsieren mich, und allein schon ihre Anwesenheit in meinem Zimmer erweckt in mir ein Gefühl zarter Zuneigung, wie ich es seit meiner Kindheit, als ich einen weißen Hund mit dem Namen Schneeflocke geschenkt bekam, den ich in meinen dünnen Armen im Haus herumtrug, keinem lebenden Wesen gegenüber empfunden habe.
Wie könnte ich Emilia aufgeben?
Wie könnte ich es ertragen, zu meiner früheren Einsamkeit inmitten meiner unfreundlichen und hartherzigen Frauen zurückzukehren?
Soll ich, wenn es wieder Herbst wird, meiner gefährlichen Niederkunft allein gegenüberstehen?
Soll ich den Winter ertragen, ohne Emilias Stimme in meinem Zimmer zu hören und ohne ihr süßes Gesicht zu sehen? Und wieder wissen, wenn der Wind von Norden bläst und der Schnee vor meiner Tür liegt, daß ich gehaßt und verabscheut werde, so wie ich in dieser eifersüchtigen Welt immer gehaßt und verabscheut wurde?
Nein, das werde ich nicht. Ich kann nicht zulassen, daß mir dies geschieht!
Inzwischen bin ich mit meinen Nachforschungen ein wenig vorangekommen …
Mein getreuer Spion, der Punktezähler James, hatte für mich herausgefunden, in welchem Zimmer der Lautenist wohnt. Ich wartete also, bis ich wußte, daß das Orchester unter Jens Inge-mann mit irgendeiner Wiederholung seiner langweiligen Melodien beschäftigt war, und begab mich dann dreist zu den Ställen, ohne auch nur einmal nach links oder rechts zu blicken, sondern ich ging einfach hinüber, wozu ich, die Gemahlin des Königs, ja wohl vollauf berechtigt bin.
Niemand hielt mich an oder fragte mich, wohin ich gehe. Ich fand das Zimmer des Lautenisten, trat schnell ein und schloß die Tür hinter mir.
Mein Herz schlug schnell, nicht, weil ich befürchtete, entdeckt zu werden, sondern wegen einer köstlichen aufsteigenden Erregung, ähnlich der, die ich fühle, wenn ich zu Otto unterwegs bin. Ich muß schon sagen, daß ich mich, wenn ich arm geboren worden wäre, recht bereitwillig der Kunst des Einbruchs gewidmet hätte – und dies vielleicht auch noch tue, sollte sich mein Schicksal einmal zum Schlechten wenden.
Langsam und sorgfältig durchsuchte ich das Zimmer.
Es machte auf mich nicht den Eindruck eines eitlen Mannes. Die Kleidung, die ich fand, war einfach und dunkel, ohne viel Stickerei, und das enttäuschte mich ein wenig (Eitelkeit ist bei einem Mann so seltsam entwaffnend und berauschend!). Jedoch hatte er ein paar hübsche Schnallen auf den Schuhen und ein Paar in London gefertigte Lederstiefel von so bewundernswerter Weichheit, daß ich es nicht lassen konnte, mir Peter Claires wohlgeformte Beine darin vorzustellen.
Überall lagen Notenblätter, denen ich allerdings kaum Beachtung schenkte. Ich konnte noch nie verstehen, wie jemand aus schwarzen Kritzeleien, die aussehen wie Mäusekot auf Papier, eine Melodie hervorzaubern kann. Vielleicht
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