Melodie des Südens
Inzwischen schniefte der Kleine nur noch und heulte nicht mehr.
»Ein Kind gegen einen Sattel«, sagte Miss Marianne.
Pearl fürchtete, ihre Herrin würde zusammenbrechen. »Setzen Sie sich doch, Missy.« Sie zog an ihrem Rock, damit sie sich hinsetzte, und Marianne ließ sich neben Pearl ins Gras sinken.
»Gott im Himmel«, murmelte Marianne vor sich hin und lehnte den Kopf an den Baum.
Das Schniefen des Babys verwandelte sich in einen Schluckauf. »Na siehst du, das ist doch schon besser, hm?« Pearl sprach leise auf ihn ein und erzählte ihm, wie gut das Leben für ihn sein würde. Er war noch so klein. In ein paar Wochen würde er seine Mutter vergessen haben, und dann wäre sie seine Mutter und Luke sein Vater.
Luke kam mit großen Schritten hinter seinem neuen Besitzer aus dem Markt. Er hatte abgenommen, aber er sah gut aus, dachte Pearl. Wenigstens war er nicht krank. Sie sprang auf, voller Glück und Dankbarkeit und mit einem Lächeln im Gesicht, das ihm alles versprach, was er sich jemals gewünscht hatte. Aber er wollte sie nicht einmal ansehen, sondern blickte grimmig zu Boden.
Warum konnte er nicht lächeln?, dachte sie, und all ihre Freude verging in einem Augenblick. Der Stolz machte ihn so unglücklich. Er schämte sich, dass er sich nicht selbst befreit hatte. Männer hatten nun mal ihren Stolz. Sie klopfte dem Kleinen auf den Rücken. Luke würde schon darüber hinwegkommen. Und er würde der Vater dieses Kindes werden.
»Kannst du ohne Sattel reiten?«, fragte Yves.
Luke nickte mit verschlossenem, verstocktem Gesicht. Mit einer fließenden Bewegung schwang er sich auf den Rücken des Pferdes. Pearl wusste, dass er noch nie geritten war, weder mit Sattel noch ohne. Aber er war stark, und er würde es aushalten.
21
Simone warf ein Hemd zu den Sachen in ihrer Tasche, ohne auf die Einwände ihrer Schwester Musette zu achten. Dann wühlte sie in der obersten Kommodenschublade nach ihrem Nadelgeld und stopfte es in den Beutel, den sie in einer versteckten Tasche ihres Reiserocks verstaute.
»Du bringst dich und deine ganze Familie in Schande«, zeterte Musette. »Denkst du denn gar nicht an Ariane und mich? Weißt du nicht, dass du uns alle ruinierst?«
Simone kramte in ihrem Schmuckkästchen nach den wertvollsten Stücken. Schließlich leerte sie einfach alles in einen Samtbeutel und warf auch diesen in die Reisetasche. »Hast du noch Geld?«
»Geld? Hörst du nicht zu, wenn ich mit dir rede?«
»Musette! Hier geht es nicht um die Frage, wie viele Herren dich auf irgendeinem Ball zum Tanzen auffordern. Hier geht es um Gabriel.«
Musette ließ sich aufs Bett fallen. »Acht Dollar. Ich habe acht Dollar gespart.«
»Dann hol sie bitte.« Simone legte Musettes Geld zu ihrem eigenen, küsste ihre Schwester, schloss die Reisetasche und eilte zum Hinterhof, wo Ellbogen-John ihr Pferd bereithielt.
»Simone!« Josie wartete auf der hinteren Veranda auf sie. »Überleg dir das noch mal, Liebes. Seine Brüder und sein Vater werden ihn nach Hause bringen, du musst dich da nicht einmischen.«
»Maman, ich ertrage das nicht einen Tag länger.« Sie küsste ihre Mutter auf die Wange. »Und ich danke dir, dass du es mir nicht verbietest.«
Josie lächelte. »Du wärst doch ohnehin gegangen.«
»Ja, und du auch, Maman, wenn du an meiner Stelle wärst – wenn es um Papa gegangen wäre.«
Josie reichte ihr einen Umschlag. »Hundert Dollar.«
Das war viel Geld, aber schließlich liebte Maman Gabriel ebenso sehr wie sie. »Ich danke dir.« Simone eilte die Treppenstufen hinunter, befestigte ihre Tasche am Sattel, stieg aufs Pferd und ritt vom Hof. Fünf Minuten später war sie bei Tante Cleos Haus.
Am Morgen hatte das Postboot Yves’ Briefe an Cleo und Bertrand Chamard gebracht. Cleo war zu Josie geeilt, um ihr und der Familie alles zu berichten. Danach war Simone sofort zu Monsieur Chamard gegangen, der erst am Tag zuvor von seiner Suche in New Orleans zurückgekehrt war. Jetzt sah er sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Es kam gar nicht infrage, dass er eine junge Dame mitnahm, das gehörte sich nicht, er brauchte sie nicht, und sie würde ihn nur aufhalten. Er schätzte ihre Mutter außerordentlich und wollte sie auf keinen Fall beleidigen. Nein, nein und nochmals nein.
Aber Simone fand sich mit keinem Nein ab. Sie weinte nicht, sie bettelte nicht, sie erklärte ihm lediglich zum wiederholten Male, dass sie mitreiten würde. Vielleicht überzeugte ihn ihr störrisches Kinn, vielleicht
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