Melodie des Südens
aber die Furcht und die Erschöpfung hatten sie vorwärtsgetrieben. Und doch – sie hatten selbst über ihre Angelegenheiten entschieden. Sie waren frei gewesen, und selbst die Luft zum Atmen hatte deshalb besser geschmeckt.
Vor einigen Nächten hatten sie sich aus den Augen verloren, als die Sklavenjäger mit bellenden Hunden hinter ihnen her gewesen waren. Sie waren zu einem kleinen Fluss gekommen, und Cat war flussaufwärts gegangen, er flussabwärts. Luke war gefangen worden, sie hatten ihn gefesselt und an seine Leidensgenossen angekettet.
Die Ketten war er jetzt los, aber er war wieder das Eigentum eines anderen Mannes. Selbstverständlich konnte er das Pferd wenden und wieder flüchten, aber damit würde er Pearl das Herz brechen. Sie war so glücklich, dass die Luft um sie herum förmlich sang. Außerdem würde er sich vermutlich zu Tode stürzen, wenn dieses Pferd zu galoppieren anfing. Er musste sich Zeit lassen.
Am frühen Nachmittag machten sie kurz halt und versammelten sich im Schatten einer alten Eiche. Pearl rührte ein wenig Maisbrei für den Kleinen an, Miss Marianne und der Hirte aßen gleich neben ihm und Pearl. So etwas hatte er noch nie erlebt.
»Reiten wir nach Norden?«, fragte er. So viel hatte er auf seiner Flucht mitbekommen: Magnolias lag südlich von ihnen.
Pearl erklärte ihm, dass sie auf der Suche nach Dr. Chamard waren. »Kannst du dich an den Arzt erinnern, der versucht hat, die kleine Sylvie zu retten?«
Luke sah Mr Chamard an, der halb liegend im Schatten ausruhte. »Schätze, ich sollte mich bedanken, dass Sie mich da weggeholt haben.«
Der Hirte nickte. »Mit uns bist du besser dran.« Yves nahm ein Stück Brot und warf es einem Eichhörnchen zu. »Pass auf«, sagte er zu Miss Marianne. »Hast du jemals ein Eichhörnchen aus der Hand gefüttert?«
»Das geht doch gar nicht«, zweifelte sie. »Wetten?« Sie hörte auf zu essen und wartete, dass er weitersprach.
»Wenn ich das fertigbringe«, sagte er, »kriege ich dann noch eins von den Dingen, die du mir an dem See gegeben hast?«
Miss Marianne lachte. »Einen Stein?« Sie wusste genau, was er meinte.
Die beiden Weißen waren miteinander und mit dem Eichhörnchen beschäftigt. Luke drehte sich zu Pearl und betrachtete ihr glückliches Gesicht.
»Wie sollen wir den Jungen nennen?«, fragte sie ihn.
Luke sah den Kleinen an. Er konnte schon ganz gut laufen, und er hatte den ganzen Morgen noch nicht geweint. Ein nettes Kind. Aber es war nicht die Zeit für ein Kind, nicht, wenn er bald wieder weglaufen wollte. Sehr bald. »Frag doch den Mann, der es dir gegeben hat.«
Pearl sah ihn an, und er erkannte in ihren Augen, wie verletzt sie war. Aber was erwartete sie von ihm? Er hatte ihr so oft gesagt, dass er gehen würde.
»Mr Chamard«, unterbrach Pearl das Gespräch des anderen Paares, »haben Sie noch einen anderen Vornamen außer Yves?«
Ja, klar, das lieben die weißen Männer, wenn man kleine schwarze Kinder nach ihnen nennt, dachte Luke.
Der Hirte lächelte. »Yves Stephen DuPree Maria Chamard.«
»Dann nenne ich ihn DuPree.«
Luke wandte sich ab, aber er hörte ihr zu, als sie leise mit dem Kleinen sprach, während sie ihn mit Brei fütterte. Als sie sich für einen Moment ins Gebüsch schlagen wollte, klammerte sich der Junge an ihr fest. Sie sah Luke kurz an, und er wusste, sie brauchte ihn, damit er das Kind einen Augenblick auf den Arm nahm. Aber er sah zur Seite.
Der Junge hatte keinen Anspruch auf ihn, und Pearl hatte kein Recht, ihm ein Kind aufzudrängen. Für kurze Zeit war er ein freier Mann gewesen, und er würde wieder frei sein und nicht den Fuß in die Falle setzen, nur weil sie das Kind eines anderen Mannes aufgegabelt hatte.
Bei Einbruch der Dunkelheit waren sie schon weit weg von der Stadt auf der Landstraße. Sie hatten einen halb überwachsenen Pfad östlich der Straße gefunden und sich dort umgesehen, aber nach zwei Meilen war der Pfad im Wald ausgelaufen.
Jetzt legten sie sich auf einer Lichtung zur Ruhe. Pearl schlief bei ihrer Herrin. Luke vermutete, sie musste das tun, wenn ihre Herrin mit zwei Männern im Wald war. Die Weißen hatten ihre Regeln, dachte er. Aber er hatte auch seine Regeln.
Er legte sich auf den Rücken und beobachtete die Sterne. Der da, der eine, das war er, der Polarstern. Diesem Stern musste er folgen, um die Freiheit zu finden. Er lauschte den anderen, die allmählich einschliefen. Zuerst schlief Miss Marianne, dann wenig später der Hirte. Luke wartete. Wenn
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