Melodie des Südens
die Tatsache, dass sie so dünn geworden war. Ihr Baumwollkleid hing ihr lose am Körper. Das endlose Warten, die schlaflosen Nächte und ruhelosen Tage verlangten ihren Tribut.
»Ich reise innerhalb der nächsten Stunde ab«, sagte er ihr endlich und kapitulierte vor ihrer Entschlossenheit. »Wenn du mit meinem Tempo nicht mithalten kannst, lasse ich meinen Diener Valentine bei dir und reite allein weiter.«
»Verstehe.«
»Wir treffen uns bei Cleo. Wenn du zu spät kommst, reite ich ohne dich.«
»Ich komme pünktlich.«
* * *
Cleo ging in ihrem Vorgarten hin und her und wartete darauf, sich von Bertrand zu verabschieden. Was auch sonst zwischen ihnen geschehen sein mochte, sie liebten ihre gemeinsamen Kinder. Und sie liebten einander. Die Tatsache, dass sie ihn wegen Pierre verlassen hatte, änderte nichts daran.
Simone ritt als Erste auf den Hof, in Reisekleidung und mit vollen Satteltaschen, bereit zum Aufbruch. »Simone!«, rief Cleo. »Was sagt denn Josie dazu?«
»Das kannst du dir wohl denken, oder? Aber ich reite mit, Tante, Gabriel braucht mich, und ich muss zu ihm.«
»Bertrand nimmt dich nie und nimmer mit.«
»Doch, ich habe ihn schon überzeugt.«
Bertrand und Valentine kamen in Sicht. Die drei Häuser von Bertrand Chamard, Josie und Cleo lagen hintereinander an der Flussstraße. Es war eine enge, wenn auch nicht immer unproblematische Nachbarschaft. Aber sie gehörten alle zur selben Familie, und in schwierigen Zeiten wie diesen wurde ihnen das besonders bewusst.
Bertrand stieg vom Pferd, um noch einmal kurz mit Cleo zu sprechen.
»Bertrand, du kannst doch unmöglich Simone mitnehmen! Sie hat keine weibliche Begleitung, und einfach so loszureiten …«
»Ruhig, Liebste, wenn sie hierbleiben muss, stirbt sie, siehst du das nicht?« Er nahm Cleo am Arm und ging mit ihr bis zur Verandatreppe. »Wir wissen schon so lange, dass die beiden irgendwann zusammen sein würden. Und sie haben alles getan, was wir von ihnen verlangt haben. Drei lange Jahre haben sie gewartet. Ich kann ihr das nicht verwehren.«
»Und du wirst ihn finden?« Cleo sah ihrem Geliebten in die Augen, auf der Suche nach Hoffnung, und er enttäuschte sie nicht. Bertrand hob ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. »Meine Liebste, du darfst nicht daran zweifeln, dass ich ihn finde. Vielleicht ist Yves ja sogar schon bei ihm.«
Sie lehnte sich an ihn, und Bertrand schloss sie in die Arme. Sie seufzte. Es fühlte sich so gut an, ihr Gesicht an seine Brust zu drücken, seinen Herzschlag zu hören. Ja, sie liebte ihn. Und sie liebte Pierre. So wie Bertrand lange Zeit sie und Josie zugleich geliebt hatte, und später sie und seine zweite Frau, so lebte jetzt Cleo mit einem geteilten Herzen. Ihr Kopf freilich hatte seine Entscheidung getroffen: Sie hatte sich für Pierre entschieden, und sie würde es jederzeit wieder tun.
Cleo trat einen Schritt zurück. »Bring unseren Sohn heim.«
Als sie Natchez verließen, war es für Luke der gleiche Weg, auf dem er zu Fuß in die Stadt gekommen war, um auf dem Sklavenmarkt verkauft zu werden. Diesmal jedoch ging er nicht zu Fuß, und er war nicht an irgendeine andere arme Seele gekettet. Zum ersten Mal in seinem Leben ritt er auf einem Pferd, wenn auch ohne Sattel, mit einer Hand am Zügel, der anderen in der Mähne des Tieres. Der Mann, den er als den »Hirten« kennengelernt hatte, führte sie an, gefolgt von Miss Marianne, die er von der Plantage kannte, und von Pearl mit dem Kind. Luke ritt als Letzter in der Reihe.
Sein Herz hätte jubeln sollen, aber das tat es nicht. Er fragte sich selbst, warum er so niedergeschlagen war. Er hatte Pearl, er war dem Sklavenhändler und dem Sklavenmarkt entronnen. Und natürlich war er froh, Pearl wiederzusehen, natürlich. Er hätte sie am liebsten gleich in die Arme geschlossen, bevor der Hirte mit ihnen den Markt verlassen hatte.
Aber das war genau das Problem. Der Hirte hatte alles getan. Er sagte ihm, wann er gehen sollte, wohin er gehen sollte. Er war ein guter Mann, dieser Hirte, aber er war jetzt genauso sein Eigentümer, wie es ein schlechter Mann gewesen wäre, der das Geld bezahlt hätte.
In den Wochen auf der Flucht hatte Luke grauenhafte Dinge erlebt. Hitze, Regen, Mücken, Schlangen, sogar Alligatoren – und all das war noch harmlos gegen die Sklavenjäger, die die Straßen kontrollierten. Manchmal hatten sogar die sicheren Häuser ein Zeichen am Fenster ausgehängt, das besagte: Nicht anhalten! Er und Cat hatten gehungert,
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