Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melodie des Südens

Melodie des Südens

Titel: Melodie des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Craig
Vom Netzwerk:
Bruder«, erklärte Yves und beobachtete die Hand der Frau am Abzug. »Gabriel Chamard. Ich vermute, dass er hier am Weg ausgesetzt wurde, er war krank.«
    Yves sah, wie die Augen der Frau schmaler wurden. Offenbar wusste sie etwas. »Gabriel Chamard«, wiederholte er. »Ein großer Mann, ein Farbiger, aber sehr hellhäutig. Haben Sie ihn vielleicht gesehen?«
    In dem Schuppen zehn Meter von ihnen entfernt krachte etwas. Eine Hacke, eine Schaufel, irgendetwas war gegen die Schuppenwand geschlagen worden. Yves behielt die Hände oben, machte aber einen Schritt Richtung Schuppen. »Stehen bleiben, Mister«, sagte die alte Frau. »Das da drin ist Caleb, und der gehört mir.«
    Aber Yves glaubte ihr nicht. Durch die Kiefernholzbretter war gedämpftes Rufen zu hören, aber Yves blieb still stehen. Was da im tiefen Schatten des Schuppens hinter dem Rücken der Frau vor sich ging, schenkte ihm die Geduld dazu.
    Aber er konnte nur Marianne sehen. Wo zum Teufel war Luke?
    Yves versuchte, die Aufmerksamkeit der Frau bei sich zu behalten, damit sie nicht merkte, dass Marianne hinter ihrem Rücken herankroch. »Mein Bruder Gabriel ist Arzt. Ein Freigelassener. Er ist entführt worden …«
    Marianne, die gute fünfzehn Zentimeter größer war als die alte Frau, umfasste sie mit beiden Armen, griff nach dem Gewehr und zielte damit Richtung Himmel.
    Ein Schuss ging los – diese Frau würde ihn irgendwann noch umbringen –, die Hühner gackerten, das Schwein quiekte, und nun kam Luke aus der alten Scheune gesprungen und entriss das Gewehr den vier Händen, die darum kämpften.
    In diesem Augenblick flog mit einem Krachen die Tür zum Schuppen auf.
    Und da stand Gabriel, auf eine Hacke gelehnt.
    Yves bemerkte noch am Rande, wie komisch die winzige Frau im Ringkampf mit Luke aussah, wie sie ihm gegen die Schienbeine trat und versuchte, an die Waffe zu kommen, die er hoch über seinen Kopf hielt. Dann lief er auf seinen Bruder zu.
    Gabriel, der sich an die Wand lehnte, streckte eine Hand aus und umarmte ihn. Yves schlug Gabriel auf den Rücken und umarmte ihn ebenfalls. Dann sah er für den Bruchteil einer Sekunde den warnenden Gesichtsausdruck seines Bruders, bevor die alte Frau ihn mit voller Wucht angriff. Sie hatte Luke losgelassen und sprang jetzt ihn an. »Caleb ist mein Junge!« Sie schlug Yves mit beiden Fäusten auf die Brust, und als er versuchte, einen Schritt zurückzutreten, boxte sie ihm in den Bauch.
    »Ginny!«, rief Gabriel.
    Yves hielt sie an den Armen fest und drehte sie mit dem Rücken an seine Brust, aber sie trat mit ihren harten nackten Füßen immer noch nach ihm.
    »Ginny, jetzt reiß dich aber zusammen!«
    Die alte Frau hörte mit Treten auf und entwand sich Yves’ Griff. »Das ist mein Sklave Caleb«, sagte sie so hochmütig, als wäre sie mindestens einen Kopf größer als ihre Widersacher.
    »Ginny«, sagte Gabriel sanft, »das ist mein Bruder Yves Chamard. Ich habe dir doch erzählt, dass ich eine Familie habe.«
    Ginny starrte Yves wütend an. »Ach was, Bruder«, murmelte sie vor sich hin, dann sagte sie lauter: »Caleb. Er heißt Caleb Bartholomew Winston.«
    »Ich muss mich hinsetzen«, bemerkte Gabriel.
    Erst jetzt sah Yves, wie bleich sein Bruder war, und half ihm zurück in den Schuppen, wo er sich auf den Boden setzte. Marianne kam gleich nach Yves herein und kniete bei Gabriels Fuß. Sie starrte auf die Verbände.
    Yves sah es auch: Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung.
    »Gabe?«
    Gabriel legte den Kopf zurück an die Wand und blickte zur Decke. »Die Zehen sind weg.«
    Ginny, die nun wieder so ruhig war, als handele es sich bei der Versammlung in ihrem Schuppen um ein mittleres gesellschaftliches Ereignis, erklärte: »Die Zehen waren schwarz, die mussten ab.«
    Yves starrte sie mit offenem Mund an. »Sie haben ihm die Zehen abgeschnitten?«
    »Er kann noch gut rumlaufen und mit der Hacke arbeiten und so weiter.«
    Yves sah seinen Bruder an. »Mein Gott, Gabe!«
    Gabriel sah seinen Plagegeist von einer Lebensretterin an. »Ginny, könntest du diesen Leuten vielleicht ein Abendessen machen? Ein paar Hühner schlachten, ein bisschen Maisbrei kochen?«
    Mit dieser Ablenkung im Kopf zog Ginny davon, indem sie etwas vom Einheizen des Backofens murmelte.
    »Ginnys Verstand kommt und geht«, erklärte Gabriel. »Sie hat mir das Leben gerettet, Yves, und sie hat diesen Fuß gepflegt, seit sie daran rumgehackt hat. Du wirst nicht erleben, dass sie sich dafür entschuldigt.«
    »Dr. Chamard,

Weitere Kostenlose Bücher