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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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sich mit dem Feind verbündet. Ob durch
auferlegten Zwang oder nicht, ist im Endeffekt nicht von Bedeutung.
    Ich
lege mich auf das Bett und falte die Hände über meinen Bauch. Ich
schließe die Augen. Vielleicht sollte ich mich stellen, meine Tat
gestehen und sie vor dem möglichen Angriff am Silvesterabend warnen.
Vielleicht würde es mir etwas von der Last auf meinen Schultern
nehmen... oder meinen Kopf kosten. Nein, ich werde nichts sagen.
Womöglich wird auch kein Angriff stattfinden, denn wie kann sich
Alfred sicher sein, dass nicht eine Falle auf sie warten wird. Eine
Falle für den Fallensteller.
    Ich
drehe mich auf die Seite und sehe auf die Uhr. Nur noch wenige
Minuten und danach werde ich wieder erwachen und nichts wird sich
geändert haben. Der souveräne Klüngelsprecher wird erwartet,
obwohl seine Maske langsam zerreißt und das verwelkende Innere zum
Vorschein tritt. Daniel und Vanessa ahnen es und ich weiß es mit
Bestimmtheit. Hier in London werde ich niemals Frieden finden. Ja,
womöglich sollte ich gehen. Eine neue Domäne, ein neuer Anfang.

    Ich
ziehe mich an, behäbig, ernüchtert. Ich werde jagen müssen, bevor
es ernst wird. Jagen, um einen klaren Verstand zu behalten. Wenn er
denn überhaupt klar ist.
    Ich
verabschiede mich für eine Stunde von den beiden und gehe dem
dringenden Bedürfnis nach, welches jedesmal beginnt alles zu
überlagern, was mich noch menschlich wirken lässt. Wie es sich wohl
anfühlt, es so lange hinaus zu zögern, bis man die Beherrschung
verliert? Einfach nur wild durch die Nacht streifen und sehen, zu was
das innere Biest einen antreibt. Der Gedanke ist verlockend. Doch
natürlich tue ich es nicht, es gibt keine Schande mehr als der
Verlust der Kontrolle über das kochende Blut. Doch der Gedanke
bleibt, selbst als ich meine Zähne in mein Opfer schlage und wieder
diese falsche Hingabe spüre. So einfach. Zu einfach.

    „Können
wir dann?“, frage ich laut, als ich im Erdgeschoss meines Hauses
stehe und die beiden sich gerade in der Küche unterhalten. Ich
stecke mein Telefon zurück in die Jackentasche, nach einem
routinemäßigen Kontrollblick. Daniel geht auf mich zu und sieht mir
unangenehm eindringlich in die Augen.
    „Melville,
willst du nicht vielleicht doch darüber reden?”.
    „Worüber?”.
Ich kann es mir zwar schon denken, aber wer glaubt er zu sein, dass
ich mein seelisches Innenleben mit ihm teilen würde? Er will mich
erst am Arm nehmen und mich Richtung Couch führen, doch darauf lasse
ich mich nicht ein und bleibe standhaft stehen. Er seufzt leise und
beginnt sein Gespräch eben im Stehen.
    „Über
Andrew und was zwischen euch vorgefallen ist.”.
    „Ich
denke nicht, dass ich mein Privatleben mit dir besprechen möchte,
Daniel.”. Daniel sieht zu Vanessa, sie scheint zu verstehen und
sagt
    „Ich
bin dann mal unten. Ruft mich, wenn es losgeht.”. Sie geht an uns
beiden vorbei und ist bald darauf im Keller verschwunden.
    „Ich
weiß, dass wir keine Freundschaft oder Verbundenheit teilen, aber
ich denke, du solltest dich jemandem anvertrauen. Vielleicht jemand,
der nicht zu deinem Umfeld gehört. Jemand, der in einigen Nächten
wieder abreist.”.
    „Ja,
ich habe schon begriffen, Daniel, dass du dich meinst. Aber glaube
mir, ich hege keinerlei Interesse mich mitzuteilen. Wozu sollte es
auch dienlich sein?”.
    „Es
könnte dir ein wenig von dem Schmerz nehmen, den du mit dir
trägst.”.
    „Welcher
Schmerz? Du überbewertest die ganze Situation, Daniel. Es war nur
eine kurze Liebschaft, nichts Bedeutendes.”.
    „Du
weißt doch, dass ich Auren lesen kann. Gefühle und...”.
    „Ich
finde es eine Unverschämtheit, dass du andauernd meinen
Seelenzustand ausspionierst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es
allgemeinhin nicht als Tabu betrachtet wird, diese Fähigkeiten so
ungefragt auf Klüngelmitglieder anzuwenden!“, sage ich scharf. Er
überschreitet eindeutig seine Kompetenzen. Hat ihm niemand die
Regeln der Höflichkeit und Privatsphäre erläutert?
    „Melville,
ich wollte doch nur...”.
    „Nichts
wolltest du und jetzt werden wir uns auf den Weg machen, damit wir
nicht zu spät sind. Und ich hoffe, dass ihr mir keine Probleme beim
Vorsprechen machen werdet. Private Details und zurückliegende Taten
haben nichts mit diesem Fall zu tun. Hast du mich verstanden?”. Ich
sehe ihm in die Augen und bin mir bewusst, dass sich mein Blick in
ihn bohren muss.
    „Ja,
natürlich.“, sagt er leise und geht dann endlich an mir vorbei.
Ich

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