Melville
mehrmals am Abend von seinem
Blut zu trinken gab, mehr als mein damals noch schwacher und
menschlicher Körper ohne Folgen überstehen konnte. So verlor ich
die Kontrolle; das Tier aus Benedicts Blut, mein Erzeuger hieß
Benedict, falls ich das noch nicht erwähnt habe, jedenfalls war sein
Blut so kräftig, dass es sich stimmlich in mir bemerkbar machte. Und
weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen soll, mit dem Blutdurst,
dem Zorn und der Raserei, ließ ich die geforderte Gewalt an mir
selbst aus. Genoss es mein eigenes Blut zu riechen, mich selbst zu
schmecken. Zu hören, wie meine Haut reißt, meine Nerven schreien
und mein Herz vor Angst rast.“.
Liam
blickt mir teils panisch und teils mitleidig in die Augen. Ich merke,
wie er sich fast dazu verleitet fühlt, meine Hand zu ergreifen. Dass
er es schließlich doch nicht tut, nehme ich zufrieden zur Kenntnis.
„Alles
Eindrücke, die das Tier zufrieden stellten, aber mich wahnsinnig
leiden ließen. Und bereits seit dieser frühen Phase meiner
Bekanntschaft mit der kainitischen Welt wusste ich, dass die Begriffe
und die Moral aus der menschlichen Sicht nicht für mich bestimmt
sein können. Doch der nötige Schritt der Erkenntnis, der
vollkommenen Verwerfung meiner eigenen menschlichen Erziehung,
schaffte ich erst, als der Tod in Form des drohenden Wahnsinns in
meinen Verstand Einlass verlangte. Hätte ich meine Werteauffassung
nicht komplett verändert, wäre ich heute sicherlich nicht mehr
hier.“. Liam sieht mich an, als ob er nicht glauben könne, dass
sein Mentor, sein Vorbild-Ventrue, etwas Derartiges sagt. Ich taxiere
seine Mimik, seine Haltung weiterhin, um abschätzen zu können, ob
ich ihm zu viel erzähle, ohne auf Erfolg setzen zu können.
„Es
gibt mehr im Unleben eines Vampirs als Meetings, Verhandlungen und
Geschäfte zu pflegen. Das Einzige was wirklich zählt, ist wahre
Macht, Liam, die Macht über andere und die Macht über dich selbst.
Und solange du nicht in der Lage bist, mit deiner eigenen
Willenskraft selbst deine innersten Triebe und deine tierischen
Bedürfnisse zu kontrollieren und zu kanalisieren, wirst du auch
nicht in der Lage sein, andere wirklich zu führen und zu
beherrschen! Mit meinem ganzen Sein und Handeln versuche ich meine
Macht und meinen Einflussbereich zu vergrößern und zu
manifestieren. Ich strebe danach meine Feinde zu vernichten und meine
Untergebenen zu lenken. In einer Welt der Macht gibt es keine
Freunde, höchstens Verbündete. ‘Hart gegen andere und vor allem
hart gegen sich selbst’, das ist mein Grundsatz. Ich denke, dass du
bereit bist zu erfahren, dass ich den Tugenden der Menschlichkeit
entsagt habe, Liam, ganz im Gegensatz zur allgemeinen Haltung der
Camarilla. Und nur noch ganz dem Streben meiner inneren Stimme folge.
Denn diese Stimme leitet mich und es war auch diese Stimme, die mich
dazu brachte, dich bei mir aufzunehmen. Da ich den Eindruck habe,
dass du danach strebst es mir möglichst in allen Punkten meines
Handelns und Denkens gleich zu tun, solltest du alle Aspekte kennen.
Denn ich kann dir viel mehr bieten als es dir momentan bewusst ist.
Noch lebst du die Kükenphase eines stereotypen Ventrue, Liam, doch
solltest du es bevorzugen, eine wirklich außergewöhnliche Erziehung
zu genießen, biete ich dir diese Möglichkeit, ohne dass du die
gleiche Hölle durchleben musst wie ich. Ich hatte keinen Führer,
keine Leitung, doch dir biete ich diese seltene Chance. Mit mir
kannst du zu wahrer Größe wachsen und danach frei von Zwängen und
Regeln, die nur Menschen gelten, ein wahrlich mächtiger Vampir
werden.“. Er beißt sich nervös auf die Unterlippe.
„Bist
du einer neuen Lebens- und Ansichtsweise aber eher abgeneigt, so kann
ich deine Ausbildung auch auf dem jetzigen Niveau weiterführen und
dich irgendwann einfach in die Neugeborenen-Welt entlassen. Du
hättest viele Möglichkeiten, doch eben nicht alle Wege wären dir
bekannt.“, sage ich betont herablassend.
„Ich...
ich...“, stammelt er.
„Du
musst deine Entscheidung natürlich nicht gleich fällen, denn es
wäre sicher nicht leicht für dich, bestimmt würdest du oft an
deine Grenzen stoßen und teilweise auch darüber hinaus empfinden,
darum möchte ich, dass du es dir genau überlegst.”.
Sein
in letzter Zeit erworbenes Selbstvertrauen scheint verschwunden,
seine Schultern hängen schwer herunter und sein Gesichtsausdruck
wirkt betrübt. Sicher hatte er angenommen, dass er seine Ausbildung
bei mir fast abgeschlossen
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