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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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mich
leise und sage zu Liam
    „Ich
genieße das wirklich sehr. Doch leider weiß ich auch, dass es nur
ein Urlaub ist. Und ich hoffe, du verstehst, dass ich sicher nicht
mehr lange so weich und unambitioniert sein kann...“, denn tief in
mir drin fängt bereits an sich kleiner Widerstand gegen den
Müßiggang zu formieren.
    „Sei
also bitte nicht zu enttäuscht, wenn in Deutschland wieder Arbeit
und auch Strenge von meiner Seite auf dich warten.”. Liam sieht
mich nur kurz an, sagt
    „Ja,
Melville.“ und läuft dann schweigend weiter neben mir her.

    Die
dritte Nacht bildet bereits unsere Mitte des Urlaubs und wir haben
für diesen Abend Karten für die Oper. Mit unseren, extra für
diesen Anlass erworbenen Smokings sitzen wir in unserer Loge und
beobachten die Menschen, bevor die Veranstaltung beginnt. Ich könnte
wetten, dass wir nicht die einzigen Untoten in diesem Gebäude sind.
Auch wenn mich diese Kunstform eigentlich überhaupt nicht
begeistert, war es doch Liams ausdrücklicher Wunsch, einmal eine
italienische Oper, am Besten in Italien, zu sehen. Was bot sich also
besser an als es gleich in Rom zu erleben? Zwei Stunden zieht sich
das Stück für mich. Doch ich lasse mir nichts anmerken, setze mich
tief in meinen Sitz zurück und überlasse es Liam dem Stück zu
folgen. Ich versinke eher in meinen eigenen Gedanken. Immer wieder
fallen mir bei diesen schwermütigen Klängen Jonathans Worte ein und
wie ich es bereue, ihn so spät wieder getroffen zu haben. Aber wäre
ich vorher überhaupt bereit gewesen? Wenn er nicht so gebrechlich
gewesen wäre, hätte ich dann überhaupt Rücksicht auf ihn
genommen? Selbst Liam hatte mich darum gebeten, nicht alle Facetten
an mir ertragen zu müssen; panisch und verzweifelt.
    Plötzlich
ergreift Liam meine Hand und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich
schaue irritiert zu ihm, er weint. Und ich bin sehr froh, dass ich
uns diese Loge gemietet habe und niemand seine blutigen Tränen sehen
kann.
    „Alles
in Ordnung mit dir, Liam?“.
    „Es
ist so traurig, Melville...“, schluchzt er leise, während auf der
Bühne ein junger Mann singend den Verlust seiner Geliebten
betrauert. Ich beuge mich etwas zu ihm herüber und flüstere
    „Deswegen
musst du doch nicht gleich weinen, Liam... so kenne ich dich ja gar
nicht.“ und zwinkere ihm etwas zu. Er hält immer noch meine Hand.
    „Ich
weiß, ich weiß... aber diese Stadt, der Urlaub... dein Verhalten...
es ist wie in einem Traum. Entschuldige bitte, dass ich so sensibel
reagiere, aber es ist bestimmt gleich wieder vorbei.“. Ich reiche
ihm mein Einstecktuch, damit kein Blut auf seinem weißen Hemd
landet. Nur zögerlich lässt er meine Hand los. Seine überbordenden
Gefühle könnten sich noch als Problem herausstellen und während
ich ihn aufmerksam beobachte und er wieder der Oper folgt, denke ich
darüber nach, wie ich der Sache Herr werden kann. Schließlich darf
er durch diese Reise auch nicht verweichlichen und muss weiter mit
wohlerzogener Kaltherzigkeit den Aufgaben in der Firma nachkommen.
Vielleicht hätte ich dem Besuch in der Oper nicht zustimmen dürfen,
vielleicht war es einfach zu viel. Doch nun sitzen wir bereits hier
und er greift nach meiner Hand. Nein, nein, das ist einfach falsch.
So will ich es nicht.

    Als
wir nach der Vorstellung noch ein wenig Richtung ‘Spanische Treppe’
spazieren, bin ich auffällig schweigsam. Ab und zu merke ich, wie
Liam zu mir herübersieht, nur um dann schnell wieder geradeaus zu
blicken. Unsere teuren Lackschuhe hallen auf dem Kopfsteinpflaster
wider, aber es sind einige nach der Oper noch zu Fuß unterwegs, also
fallen wir nicht unbedingt weiter auf. Außer, dass wir zwei Männer
sind und ich könnte sagen, dass uns in diesem streng katholischen
Land sicher auch einige wütende Blicke folgen. Doch das finde ich
eher erheiternd. Einfältige Menschen.
    An
der Treppe bittet Liam mich schüchtern ein Erinnerungsfoto von ihm
zu schießen, sowie er von mir. Nach einem gemeinsamen Foto traut er
sich nicht zu fragen und ich biete es ihm auch nicht an. Viele
Menschen sind hier unterwegs, vermutlich ist es an solch einem Ort
auch egal, wie spät es ist. Man wird hier niemals alleine sein und
es stört mich gerade jetzt ziemlich. Ich rede mit Liam nicht,
beginne zu überlegen, ob es in Anbetracht meiner Weichherzigkeit,
ausgelöst durch Jonathan und den emotionalen Entwicklungen von Liam,
klug war zu verreisen. Doch ich wusste ehrlich gesagt auch nicht, was
ich sonst hätte tun

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