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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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infantilen Touristen ausgesetzt werden. Eine
Gratwanderung, wenn man denn die Stadt, in der wir uns aufhalten,
bedenkt.
    Schließlich
verabschiedet sie sich bis morgen und Liam und ich wählen einen
Rückweg zu Fuß zum Hotel. So haben wir auch die Gelegenheit den
Trevi Brunnen erleben zu dürfen. Der Brunnen ist nachts wunderschön
illuminiert und das erste Mal habe ich das Gefühl, unbekümmert von
allen Verpflichtungen zu sein. Liam und ich unterhalten uns angeregt
über die eben erlebten kulturellen Höhepunkte und genießen die
laue italienische Herbstnacht. Auch wenn meine Begeisterung für die
Künste und die Geschichte Italiens nicht ganz so ausgeprägt ist,
erfüllt es mich ein wenig mit Stolz, wie gebildet Liam doch in
solchen Themen ist. Und ich lausche seinen Ausführungen und
versuche, wenn möglich, Analogien zu London zu erwähnen. Es ist so
zwanglos, als wären wir nicht unerbittlichen Regeln sozialer und
mystischer Art unterworfen, dass man sich fast als Teil der uns
umgebenden Welt wahrnehmen könnte.
    Gegen
vier Uhr nachts betreten wir wieder unsere Suite. Zwei getrennte
Schlafräume ermöglichen es mir, Liam nicht ganz aus den Augen zu
verlieren. James hat bereits die Schlafzimmer ausreichend gegen
Sonnenlicht abgedunkelt und ruht ansonsten selbst noch. Er wird
tagsüber in unserem Salon darauf aufpassen, dass niemand unsere Ruhe
stört.
    Wir
haben in Frankfurt unseren Durst soweit gestillt, dass es möglich
wäre, komplett ohne auf Jagd gehen zu müssen in Rom zu verweilen.
Denn wir wollen hier keinen Ärger und möglichst bedeckt bleiben.

    Somit
folgt in der nächsten Nacht, kurz vor Mitternacht, eine weitere
architektonische Eroberung. Der Petersplatz nebst dazugehörigem Dom.
Wirklich beeindruckend, doch leider stören mich die Menschen etwas.
Ich bin mir nicht sicher, aber es scheint sich eine Reisebusladung
angetrunkener Russen auf dem Platz sehr wohl zu fühlen. Somit
beschließen wir mehr Zeit im Dom zu verwende, als auf dem Platz. Um
uns überhaupt im Dom bewegen zu können, spricht Frau Montinari
abseits mit einem Mitglied der Schweizer Garde, der uns schließlich
passieren lässt. Der imposante Anblick lässt mich ein wenig
erschauern. Denn genauso pedantisch wie die katholische Kirche ihre
gottnahen Gebäude bauen ließ, so besessen hat sie als Inquisition
in der alten Zeit Jagd auf Wesen wie mich und Liam gemacht. Unsere
Schritte hallen in dem leeren großen Dom wider und Frau Montinari
redet auch nur sehr leise. Sie erklärt uns auch, dass aus
organisatorischen Gründen unser Aufenthalt im Petersdom zeitlich
begrenzt ist. Sie blickt dabei in Richtung der Wache. Wir nicken
verständnisvoll und lauschen weiter gebannt, Liam natürlich etwas
mehr als ich und ich lasse ihm beim Rundgang durch den Dom auch den
Vortritt, es ist sein Traum hier zu sein, ich genieße nur die
Abwechslung. Der Glaube an eine höhere Macht lag mir noch nie und
wird auch in Zukunft keine Bedeutung für mich erlangen, aber die
Größe und Ausstrahlung des Doms schüchtert mich tatsächlich ein.
Und während Liam vor Begeisterung den Mund nicht mehr zu bekommt,
wünschte ich, wir könnten endlich wieder gehen. Unbedeutend und
klein lassen einen die hohen Säulen und das Kirchenschiff fühlen.
Ich denke, dass genau war auch die Absicht der Erbauer. Und sollte es
tatsächlich, entgegen aller meiner Erwartungen, einen Gott geben, so
ist er garantiert nicht mehr auf meiner Seite, wenn er es denn jemals
war.
    Um
halb drei etwa, trennen wir uns wieder von Frau Montinari. Übermorgen
werden wir Sie ein letztes Mal sehen, wenn Sie uns dann durch die
Sixtinische Kapelle führen wird. Mit einem Taxi lassen wir uns zum
Kapitolsplatz fahren, denn noch haben wir einige Stunden, die wir
nutzen wollen. Schweigend betrachten wir den Platz eine Weile und
lassen ihn auf uns wirken.
    „Da
stinkt der Römerberg in Frankfurt irgendwie gegen ab!”, sagt Liam
plötzlich salopp und ich kann mir ein lautes Lachen nicht
verkneifen.
    „Oh
ja, da hast du recht. Aber sehr viel größer ist er auch nicht.“,
sage ich und klopfe ihm immer noch lachend auf die Schulter. Auch
sonst ist die Stimmung zwischen uns beiden sehr harmonisch und meine
inneren Dämonen scheinen zu schlafen. Ich genieße einen Urlaub,
auch von mir selbst. Keine Leistungsanforderung, kein
Konkurrenzdenken, kein Hass und keinen Zorn... aber auch ein
Stillstand der persönlichen Perfektionierung.
    Als
wir wieder zu Fuß den Weg zum Hotel antreten, räuspere ich

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