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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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aufgegangen, genau über der Stelle, wo die Sonne erscheinen würde. Der funkelnde Stern schien um seine Achse zu wirbeln wie ein Feuerrad.
Der Stimmenlärm kam näher.
»Diesen Weg sind sie gegangen. Soeben!«
»Welchen?« fragte es zurück.
»Das klingt wie die Stimme von Sergeant Asim«, flüsterte Memed Cabbar zu.
»Das ist er«, sagte Cabbar unruhig. »Wir müssen machen, daß wir hier wegkommen. Sergeant, steh auf. Gleich haben sie uns.« Er lud den sich Aufbäumenden auf seine Schultern. Sie liefen drauflos, ohne zu wissen, in welcher Richtung.
»Durch das Ried!« hörten sie Sergeant Asim rufen. »Richtung Anavarza!«
»Jetzt sind wir dran«, murmelte Cabbar.
»Hätte ich wenigstens diesen Gottlosen sterben sehen, dann läge mir nichts an meinem Tod«, sagte Memed. »Wenn ich es nur wirklich glauben könnte, daß er da drin lebendig verbrannt ist ... «
»Der Sergeant regt sich nicht mehr!« keuchte Cabbar. »Setze ihn nicht ab. Wer weiß, was mit ihm ist ... «
»Nichts ist«, stöhnte Recep. »Es ist wieder vorbei. Laß mich auf die Füße kommen.« Cabbar ließ ihn von seinem Rücken gleiten. »Was ist los? Wo gehen wir hin?«
»Sergeant Asim ist uns auf den Fersen.«
»Hilf mir auf die Beine«, sagte der Sergeant mit schwacher Stimme.
Cabbar faßte ihn unter die Achseln, zog ihn hoch. Recep schwankte ein wenig, als er sich rechts und links umblickte. »Wir sind nicht mehr weit vom Ried. Wenn wir bis Anavarza kämen, könnte uns nichts mehr passieren. Aber das schaffen wir nicht. Sie passen uns auf dem Weg ab.«
Er lauschte angespannt. »Sie sind ganz in der Nähe. Man kann ihre Stimmen hören. Im Ried haben wir weniger Aussicht, davonzukommen - wenn es Tag wird, werden es die Dorfleute nach uns absuchen. Aber es gibt keine andere Möglichkeit!« Memed stimmte ihm zu.
»Hinter dem Ried ist der Ceyhan. Wir springen hinein und lassen uns von der Strömung treiben. Vielleicht haben wir Glück.«
»Und wenn nicht?« sagte Cabbar. »Wenn wir dann wenigstens sicher sein könnten, daß der gottlose Hund verbrannt ist! Aber wer weiß - vielleicht ist er doch noch einmal davongekommen.«
Das machte den Sergeanten rasend. »Kerl«, schrie er, »du selber bist ein gottloser Hund! Man könnte meinen, du würdest dich noch darüber freuen, wenn er uns entwischt wäre! Kannst du mir vielleicht sagen, wie? Memed war an der Tür, ich überall ums Haus herum. Wie soll er denn davongekommen sein, wenn kein einziges Fenster im Haus war? Sag doch, wie?«
»Bei lebendigem Leib verbrannt ist er«, sagte Memed. »Und wenn ich nun selbst sterben muß, dann wird es mir leicht.«
»Das meine ich auch«, atmete Recep auf. Cabbar aber schwieg.
Nur das Geräusch vieler Schritte war in der Nacht zu hören, überall, im Gebüsch, im Gras, auf der Erde; es brandete wie eine gewaltige Meereswoge gegen die dunkle Stille. »Sie sind ganz nahe«, flüsterte Cabbar. »Sie sprechen nicht mehr.«
»Zum Ried«, befahl der Sergeant. »Faßt meine Hand, folgt mir!«
Sie rannten weiter. Die Schnitte hinter ihnen wurden nun auch schneller, deutlicher, zahlreicher. Mit dem immer mehr anschwellenden Getrappel schienen auch die Berge, die Steine, die Büsche und Bäume sie zu verfolgen und einzukreisen. Die schreckliche Ebene, endlos wie das Strafgericht Gottes ... Bei Tage flimmert sie unter der Sonne wie eine riesige Zinnplatte, und die paar kleinen Hügel sind nur Maulwurfshaufen, kaum wahrzunehmen. Die Anavarza-Klippen, das bedeutete die Rettung ... Sonst blieb nur der Ceyhan mit seiner reißenden Strömung, nur streckenweise von stillem Wasser unterbrochen, mit seinen schilfbestandenen Ufern, in deren schwarzen, glucksenden Sumpfboden man einsinkt, wo die langbeinige Trappe ihre Nistplätze hat. Die Besenheide dort duftet. Auf der ganzen Ebene steht nur ein einziger Maulbeerbaum, dessen Blätter dicht mit Staub bedeckt sind. Dieses Sumpfgelände war der einzige Schlupfwinkel, wenn sie nicht in der weiten Ebene hilflos den Verfolgern ausgesetzt sein wollten. Aber den größten Teil der Moräste hat noch nie eines Menschen Fuß betreten, schon der durchdringende Faulgeruch schreckt davon ab, sich hineinzuwagen.
Das Geräusch der Verfolger wurde immer deutlicher, es lief über die ganze Ebene hin Wie das Rauschen des Windes, es verbreitete sich wie eine Flamme in der ausgetrockneten Steppe.
»Hier hinüber, Kinder«, keuchte Sergeant Recep, »nur noch ein kleines Stück, dann haben wir es geschafft.« Plötzlich dröhnte vor ihnen eine Gewehrsalve.

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