Memed mein Falke
hineinkommen oder nicht!«
»Ich habe Frau und Kinder im Haus!« schrie der Mann. »Abdi ist nicht hier.«
»Dann mach doch auf!«
»Nein.«
»Los, Memed!« brüllte der Sergeant. »Laß die verdammte Tür platzen!«
»Fertig, Sergeant. Soll ich?«
»Worauf wartest du denn noch, zum Teufel?« Von innen peitschte ein Schuß.
»Nieder, Memed! Der Hund schießt!«
Im gleichen Augenblick prasselte ein Kugelregen nieder. »Jetzt die Granate, Memed!«
»Schont die Unschuldigen! Wir kommen!« rief es aus dem Haus. »Hör auf zu schießen, Abdi Aga! Wir gehen nach draußen, macht ihr, was ihr wollt.«
Es wurde still. Die Tür öffnete sich. Schläfrige Kinder, zitternde Weiber in Unterkleidern stürzten heraus und liefen davon, so schnell sie konnten. Als letzte verließen ein Greis und zwei junge Burschen das Haus.
»Abdi ist drinnen. Geht nur zu ihm, rechnet mit ihm ab«, keuchte der Alte.
Sofort setzte das Gewehrfeuer wieder ein. Abdi schoß erstaunlich schnell. Die Dorfleute hatten die Schießerei gehört und kamen von allen Seiten auf Hüseyin Agas Haus zu. »Ein Banditenüberfall«, rief einer. Sofort liefen die Leute in ihre Häuser zurück. Eine Minute später war niemand mehr zu sehen.
»Memed!« rief der Sergeant. »An die Tür und geschossen, was das Zeug hält!«
»Was nützt es? Der Kerl ist drinnen. Er schießt uns alle drei über den Haufen!«
»Bepflastere die Tür, habe ich gesagt, keine Widerrede! Uns über den Haufen schießen? Das will ich ihm schon zeigen! Laß ja nicht locker da an der Tür.«
Dann nahm er alle Kraft zusammen und brüllte furchterregend. »Was, Abdi, statt dich mir zu Füßen zu werfen, versteckst du dich im Haus und schießt auf mich? Ich werde dir's zeigen!«
Er ging auf die Windseite des Hauses. Memed feuerte an der Tür weiter, gespannt, was der Sergeant unternehmen werde. Von innen schoß es ebenfalls ununterbrochen. Cabbar lag bewegungslos in seiner Deckung und beobachtete zum Dorf hin. Abdi Agas Schüsse kamen immer gezielter. Memed wäre längst getroffen worden, hätte er das schützende Dunkel neben dem Eingang verlassen. Das Dorf lag wieder so ausgestorben da wie bei ihrem Einzug.
Geraume Zeit verging. Memed feuerte immer noch auf die Tür. Was sollte aus dieser Sache werden? Der Sergeant war hinter dem Haus verschwunden und noch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Schließlich war Memed es leid, zwecklos seine Munition zu verschwenden. Sofort schrie Recep hinter dem Haus: »Wirst du wohl weiterknallen, du Hurensohn!«
Lustlos gehorchte er.
»Ihr könnt hier ruhig bis zum Morgen stehen und schießen!« rief eine fremde Stimme hinter dem Maulbeerbaum. »Damit kriegt ihr Abdi Aga nicht aus dem Haus. Spart euch die Mühe!«
»Wer bist denn du?«
»Ich bin Hüseyin Aga. Der Kurde Reşit war der letzte Bandit,
der sich in die Çukurova gewagt hat. Und ihn hat sie auch verschlungen. Wenn es erst Morgen ist, sammeln sie euch hier auf der Ebene wie Fallobst ein. Seht zu, daß ihr noch wegkommt!«
Receps rauhe Stimme dröhnte hinter dem Haus hervor: »Cabbar, stopf dem Schurken das Maul!«
Cabbar feuerte eine Salve unter die Maulbeerbäume.
Da geschah es. Eine riesige rote Flamme schoß über dem Haus empor. In Sekundenschnelle brannte es an allen vier Ecken lichterloh.
»Ein Erznarr bist du, Hüseyin Aga! Den Kurden Reşit konnten sie vielleicht jagen, mich nicht. Ich bin Sergeant Recep, der Wolf der Çukurova! Entweder blase ich dem Abdi heute nacht das Lebenslicht aus, oder ich zünde das ganze Dorf an.« Der Mann hinter dem Maulbeerbaum stieß laute Rufe aus. Im Nu war das Dorf in Aufruhr.
»Hör auf zu schießen, Memed!« rief der Sergeant. »Jetzt wird er ausgeräuchert! Bevor er erstickt, kommt er schon heraus!« Der Nordost wirbelte die schon in Pappelhöhe steigenden Flammen hin und her. Bald hatte das Nachbarhaus Feuer gefangen, dann das nächste. Kaum eine Viertelstunde war vergangen, als ein halbes Dutzend Hütten lichterloh brannte. Memed und Cabbar warteten ab, schußbereit in Deckung. Sergeant Recep tobte wie ein Berserker um das Haus herum. »Heraus mit dir, Abdi, heraus und vor Memeds Füße! Sonst wirst du lebendig geröstet! Komm, wirf dich ihm zu Füßen, vielleicht schenkt er dir das Leben!«
Von drinnen kam kein Laut, aber dann und wann pfiff eine Kugel an Receps Ohren vorbei. Die Flammen schlugen in den Himmel. Überall flogen die Funken durch die Finsternis. Der Himmel wurde taghell. Von den violetten Felsen von Anavarza bis zum Ried am Ceyhan-Fluß lag das
Weitere Kostenlose Bücher