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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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frische, glänzende Erdreich auf dem Grab begann zu dampfen. Es wurde langsam hell. Vom Dorf her erhob sich Geschrei nach Anavarza und zu den Sümpfen hin.
»Was hat er zuletzt gesagt, Memed?«
»Er hat nur auf die Klippen gezeigt.«
»Wir müssen zum Ceyhan. Durch die Sümpfe finden wir nicht nach Anavarza hin.«
»Wir sollten uns doch besser an seine Weisungen halten. Schließlich hat er sich hierherum ausgekannt wie kein zweiter ... Wie er außer sich darüber war, daß das Dorf gebrannt hat, Cabbar! Am liebsten hätte er die ganze Çukurova in Flammen aufgehen sehen. Dabei hatte er sonst doch ein gutes Gemüt. Wer weiß, was ihm diese Çukurova alles angetan hat.«
»Seit ich ihn gekannt habe, hat er die Çukurova verflucht. Man durfte nicht einmal den Namen aussprechen in seiner Gegenwart. Manchmal, wenn er so vor sich hin träumte, sang er leise ein paar Verse, das Çukurova-Lied, du kennst es; das geht so:
Die Çukurova brennt wie die Hölle 
Ihre Mücken sind reißende Wölfe
Wenn du stirbst, fänd mein Herz keine Ruh; 
Komm, Bruder, laß in die Heimat uns ziehn ...
Immer wenn er das Lied zu Ende gesungen hatte, mußten alle schweigen. Mehrere Tage lang lief er dann umher, allein und von Sorgen geplagt. Dann gesellte er sich wieder zu den anderen. Was mochte ihn bedrücken? Niemand wußte es. Das ist nun also sein Ende. Er bleibt im Ried von Anavarza zurück. In der letzten Zeit war er gar nicht mehr zornig auf die Çukurova, auch das Çukurova-Lied kam ihm nicht mehr über die Lippen. Von anderen Räubern weiß ich, daß der Sergeant nie mit den anderen zusammen in die Çukurova hinabging, sondern immer am Wegrand wartete, bis sie von dort wieder zurückkamen. Das war sein Los. Jetzt hegt er im Boden der Çukurova begraben.«
»Vielleicht hat er es so gewollt«, sagte Memed.
»Ziehen wir weiter, Memed. Bald wimmelt es hier von Menschen und Hunden.«
Memed drehte sich zum Grab des Sergeanten um. »Adieu, mein Sergeant, adieu!« sagte er, schon im Weggehen. Seine Augen wurden feucht.
»Adieu, adieu«, sagte auch Cabbar.
Mit Mühe bahnten sie sich einen Weg durch das dichte Gestrüpp, durch das nicht einmal ein Tiger hätte dringen können. Cabbar trug das Gewehr und das silberbeschlagene Lederzeug des Sergeanten. Die zusätzliche Traglast und das vor ihm wie eine undurchdringliche Mauer aufragende Dickicht machten ihm zu schaffen. Die Mittagshitze sengte. Außer dem Rascheln des hohen Riedgrases war weit und breit kein Geräusch. Wenn sie sich umblickten, sahen sie den langen Tunnel, den Memed durch das Dickicht geschlagen hatte. Nach Anavarza waren es wohl noch zwei Wegstunden. Sie sahen nur den Himmel und die höchste Spitze der Klippen.
Als sie das Ried etwa zur Hälfte durchquert hatten, stand die Sonne schon über der Felsspitze.
»Laß uns hierbleiben und die Nacht abwarten«, sagte Memed.
Cabbar streckte sich sofort aus. »Ich kann nicht einen Schritt mehr weiter.«
Von den Felsen her wurde das Geräusch von Hunderten und aber Hunderten von Schritten zu ihnen getragen.
Memed sprang auf und schaute um sich. »Zu sehen ist nichts, aber die Bauern suchen noch weiter. Wenn schon. Wir sind hier in Sicherheit.«
»Wenn sie uns aber dann an den Straßen auflauern, nachdem sie uns in den Klippen und im Ried nicht gefunden haben?« erwog Cabbar. »Es sollte mich wundem, wenn sie sich nicht in den Hinterhalt legen, auf der Strecke nach Azapli oder nach Sumbas und der Stadt.«
»Dann warten wir lieber noch hier ein paar Tage.«
»Wir könnten ja auch auf den Kozan hinauf«
»Kennst du denn den Weg?« fragte Memed.
»Nein, aber in den Bergen kenne ich mich aus. Von Anavarza aus sieht man genau, wie man gehen muß.«
»Gut, dann wollen wir hier raus, bevor es dazu zu dunkel wird.«
Bei Einbruch der Dunkelheit waren sie auf den Klippen von Anavarza. Vereinzelt blinzelten Lichter in der Ebene. Der Ceyhan schlängelte sich als dunkles Band zu ihren Füßen. Eine dichte Rauchwolke zeigte, wo Aktozlu. liegen mußte.
Memed deutete nach Osten. »Was ist das da?«
»Das muß Bozkuyu sein.«
»Es ist nicht weit. Können wir nicht da durchschlüpfen?«
»Ich weiß nicht recht ... Ob sie nicht auch dort die Straße besetzt haben?«
»Ach was«, meinte Memed, »wir kommen schon durch.« Er suchte im Dunkeln Cabbars Gesicht. »Du, was meinst du, Bruder, ob der Verfluchte tot ist?«
»Ich kann nicht daran glauben«, sagte Cabbar. »Wenn er noch drin gewesen wäre, dann hätten wir ihn schreien hören.«
»Vielleicht hat ihm der

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