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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Rauch die Besinnung genommen!«
»Er hat doch bis zuletzt geschossen.«
»Vielleicht ist eine der einstürzenden Wände auf ihn gefallen ... oder die Decke ... «
»Ach ja«, seufzte Cabbar, »ich wünschte, es wäre, wie du sagst. Dann hätten wir das alles nicht vergebens durchgemacht.«
Sie stiegen hinab in die Ebene. Der Hunger ließ sie nicht mehr zum Nachdenken kommen.

15
    Die Alten erzählten oft davon, wie es früher in der Çukurova gewesen war. Ismail der Alte, ein Greis, der das neunzigste Lebensjahr schon hinter sich hatte, war unerschöpflich in diesen Geschichten. Seine Augen waren so grün wie die Weidegründe der türkmenischen Nomaden, zu denen auch er gehörte, wie sein spitzes Kinn verriet. Seine Schultern waren noch genauso gerade und breit wie in seiner Jugend, seine Augen hatten noch den gleichen Falkenblick. Nach wie vor zog er mit zwei Gewehren auf die Jagd, sang türkmenische Heldenlieder und erzählte von den Stammesfehden der Vergangenheit. Am Schluß jeder Erzählung zeigte er stolz die Wunden, die er in den alten Tagen empfangen hatte.
Manchmal wurde es ihm zu eng in seinem Haus und im Dorf, dann glaubte er, er müßte jede Stunde, die ihm noch blieb, dazu nützen, das alte freie Türkmenenleben in die neue Zeit herüberzuretten.
Es gab Tage, da geriet er in eine geradezu trunkene Begeisterung. Dann schwang er sich auf den feurigen, rötlichen Jährling, den er selbst liebevoll pflegte, und galoppierte hinaus in die Berge mit ihrem Kiefern-, Poleiminzen- und Thymianduft. An solchen Tagen war er wie ein Windstoß, der aus der wilden Väterzeit in das eintönige Heute hereinblies. Dann sprach er von Wanderzügen, von Verbannung, vom großen Kampf der Stämme gegen die Osmanen; dem Glitzern der mit kleinen Spiegeln ausgelegten Gewehre, dem Klang der buntbemalten hölzernen Kaffeemörser in den Zelten; dem leuchtenden Rot und Grün der Zelte, das die Çukurova-Ebene überflutete ...
»So vor fünfzig, sechzig Jahren ... « Wenn er einmal so begonnen hatte, dann gab es kein Aufhören mehr, wie bei einer alten vielstrophigen Ballade. »Damals war die Çukurova nur Sumpf, Schilf und Ried. Äcker gab es nur am Fuß der Hügel, und das waren handtellergroße Äckerchen ... Damals lebte hier keine Menschenseele außer uns. Wenn sich die kahlen Bäume, die nackte Erde wieder für den Frühling zu schmücken begannen, dann hob unsere große Wanderung an, ein rauschendes, wogendes Meer von Rot und Grün. In die Berge ging es, auf die Sommerweiden von Binboğa. Erst wenn der Winter anbrach, stiegen wir wieder hinab in die Çukurova. Schilf und Röhricht standen so dicht, daß es nicht einmal Tiger durchdringen konnten. Das Gras in der Ebene war das ganze Jahr über kniehoch. Scheue, großäugige Gazellen gab es herdenweise. Wir jagten sie auf unseren zähen, schnellen Pferden. Bei der Gazellenjagd konnten sie zeigen, was in ihnen steckte.
Das Schilfrohr an den Seen der Çukurova wurde so hoch wie Pappeln. Seine Rispen neigten sich hinab zum Wasser wie Sonnenstrahlen. Der Wind trug bei Tag und Nacht den Duft der Narzissen mit sich, von denen die ganze Ebene übersät war. In der Ferne schlugen die weiß schäumenden Mittelmeerwellen ans Ufer. Zelt neben Zelt wurde aufgeschlagen, überall schlängelte sich der Rauch in den Himmel. In der Ebene zwischen Osmaniye und Toprakkale, am Oberlauf des Ceyhan, nach den Bergen zu, lagerte der Stamm Tecirli, unterhalb von ihnen, um Ceyhanbekirli, Mustafabeyli und die Kreisstadt Ceyhan, die Cerit. Das Gebiet zwischen Anavarza und der Burg Hemite gehörte den Bozdoğan. Von Anavarza bis Kozan schweiften die Lek-Kurden, zwischen dem Sumbas-Fluß und dem Taurus waren die Zeltplätze des SumbasliStamms, von Kadirli bis zu der Gegend, wo jetzt das Dorf Ekşiler liegt, lagerten die Tatarli. Manchmal wechselten die Stämme ihre Gebiete untereinander. Die Bozdoğan zogen dorthin, wo die Cerit gewesen waren, die Cerit gingen in das Gebiet der Bozdoğan. Der mächtigste Stamm waren die Avşar. Sie konnten überall in der Çukurova ihre Zelte aufschlagen, und niemand hätte gewagt, sich ihnen zu widersetzen.
Ich weiß es noch genau, als es den Streit mit den Osmanen gab ... Damals lebte ein Bey, den sie Kozanoğlu nannten. Er war der Führer aller Stämme in diesem Kampf Die Osmanen blieben Sieger. Sie nahmen Kozanoğlu gefangen und verschleppten ihn. Die Avşars mußten nach Bozok in die Verbannung ziehen. Die mächtigen Stämme zerstoben in alle Winde. Dadaloğlu singt das

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