Memed mein Falke
fünfunddreißig- auf vierzig-, fünfundvierzig-, fünfzig-, auf schließlich einundfünfzigtausend ... Die Bauern arbeiteten als Tagelöhner für ihn auf dem Boden, der ihnen selbst gehört hatte.
Ali Safa Bey war ein hochgewachsener Mann von auffallend dunkler Gesichtsfarbe, mit dichten schwarzen Augenbrauen. Stets trug er eine Peitsche mit silbernem Griff bei sich, die er gern an seine stets blankgewichsten Stiefel schlug.
Es war Dienstag. Kalaycis Bande hatte Nachricht geschickt, daß ihr die Munition ausgegangen sei. Mit dem Nachschub aus Syrien war erst in einer Woche zu rechnen. Ali Safa Bey war unruhig. Nervös ging er in seinem großen Haus auf und ab. Seine Gedanken kreisten immer um das gleiche. Noch ein paar Jahre mußte er Geduld haben. Dann würde er auch das Land von Vayvay in die Hand bekommen. Dann würde ein Telegramm nach dem anderen nach Ankara abgehen: »Aufruhr! Die Berge wimmeln von Banden. Wo bleibt die Staatsgewalt?« Dann wehe dir, Kalayci, und deiner Bande! Nur noch zwei Jahre Geduld ...
Ali Safas Frau saß auf dem Diwan und beobachtete gespannt sein aufgeregtes, von Peitschenhieben auf die Stiefelschäfte begleitetes Gebaren. In solchen Stimmungen pflegte er ihr stets seine geheimen Pläne anzuvertrauen.
»Weißt du, was ich tun werde, Frau?«
»Nun, was willst du tun?«
»Bei Allah, ich habe genug von dieser Bande. Ständig wollen sie mehr Munition. Ständig habe ich Ärger mit dem Gendarmerierevier. Weiß Gott, ich bin es jetzt überdrüssig. Sind doch gestern die Bauern allesamt zum Landrat gezogen und haben ihm die Ohren vollgejammert: Wir können uns vor den Banditen nicht mehr retten, unsere Habe, unser Leben und unsere Ehre sind keinen Tag mehr vor ihnen sicher ... Sie wollten sogar ein Telegramm nach Ankara schicken. Also, ich habe noch rechtzeitig Wind bekommen und sie davon abbringen können. Laßt unsere Stadt nicht vor der Obrigkeit in schlechtem Licht erscheinen, habe ich ihnen gesagt. Zwei Jahre müssen wir noch Geduld haben. Oder glaubst du, mir machte es Spaß, mit diesen Gesellen zu tun zu haben? Wenn Vayvay erst in meiner Hand ist, weißt du, was ich dann machen werde, Frau?«
Sie schüttelte verneinend den Kopf.
»Ich werde die Bauern zusammenrufen und eine Depesche nach der anderen nach Ankara jagen, die Banditen hätten die Berge besetzt und ihren eigenen Räuberstaat errichtet. Dann schicken sie ein Regiment oder eine Gebirgsbrigade her, und es ist aus mit der Gesellschaft. Die Regierung ist mit dem großen Kurdenaufstand fertig geworden, sie wird auch die paar abgerissenen Strauchritter zur Räson bringen ... Den Telegrafisten habe ich ins Gebet genommen. Der wird keine Depesche nach Ankara geben, worin von Banditen die Rede ist. Das fehlte noch, daß wir hier in einen schlechten Ruf bei denen da oben kommen ... Aber laß mich nur erst die Felder von Vayvay haben, in ein paar Jahren, dann weiß ich, wie ich mit dem Banditengesindel umspringen werde ... «
Er schwieg, ging eine Weile, seinen Gedanken nachhängend, hocherhobenen Hauptes im Zimmer auf und ab.
Der Bey wurde aus seinen Zukunftsträumen gerissen, als die Tür klappte.
»Es ist jemand draußen und will Euch sprechen«, sagte die Dienerin. Ein Mann mit einem langen Bart, er hat den ganzen Kopf umwickelt.«
»Laß ihn herein!« befahl Ali Safa Bey.
Der bärtige, bis über die Augen bandagierte Mann schleppte sich stöhnend bis zum Diwan, ließ sich darauf fallen.
»Friede sei mit dir, Bruder Ali Safa Bey Efendi!«
»Auch mit dir sei Friede.«
»Ali Safa Bey«, stieß der Mann atemlos hervor, »dein Vater war mein bester Freund - jetzt komme ich als Hilfesuchender an deine Schwelle! Abdi hat sich als Schutzflehender zu dir geflüchtet! Nur du kannst mich noch retten, sonst bin ich verloren ... Ein großes Dorf hat er in Flammen aufgehen lassen, und ich war mittendrin! Du bist jetzt meine letzte Hoffnung. Schütze mich, ich flehe dich an, ich will dir die Füße küssen, befreie mich von diesen schrecklichen Nachstellungen! Dein Vater und ich, wir waren wie Brüder - mehr noch, wir waren Freunde ... Laß mich nicht vergebens bitten, rette mich!«
Ali Safa Bey lächelte. »Warum regst du dich so auf? Du solltest erst ein wenig zu Atem kommen, dann wollen wir die Sache in Ruhe bereden.«
»Du fragst noch, warum ich mich aufrege?« schnaufte Abdi Aga. »Soll ich mich vielleicht nicht aufregen, wenn der Kerl über mir ist wie das Schwert des Todesengels? Jetzt hat er ein großes Dorf in Brand gesteckt, das große
Weitere Kostenlose Bücher