Memed mein Falke
Pascha ... Dann kommen richtige Soldaten, nicht nur solche Gendarmen ... Sie werden sie alle greifen und aufhängen. Es wird ihnen gründlich vergehen, Dörfer niederzubrennen. Aber laß nur erst die Sache mit Vayvay erledigt sein!«
Der Bey, der immer noch gedankenverloren auf und ab spazierte, hatte bei den letzten Worten aufgehorcht. Argwöhnisch kam er näher, faßte die Frau am Arm. »Was hast du dem Aga da gesagt?«
»Keine Sorge, Ali Safa Bey«, begütigte Abdi Aga, »wir sind uns ja nicht fremd. Schließlich war mir dein Vater näher als ein Bruder.« »Na eben«, sagte die Frau schuldbewußt, »wenn ich Abdi Aga als einen Fremden betrachtet hätte, dann würde ich nicht so zu ihm gesprochen haben.«
Ali Safa Bey sah sie mit einem vorwurfsvollen Blick an. »Nun geh schon in dein Zimmer. Ich habe unter vier Augen mit dem Aga zu reden.«
Als sie sich verlegen zurückgezogen hatte, setzte sich Ali Safa Bey lächelnd neben Abdi Aga, legte ihm die Hand aufs Knie. »Ich habe gründlich über alles nachgedacht, Aga. Mit diesem Ince Memed ist nicht so leicht fertig zu werden. Du hast ganz recht, ihn zu fürchten. Vor einem, der keine Angst vor der Staatsgewalt hat, der mir nichts, dir nichts ein großes Dorf niederbrennt, muß man sich fürchten. Seit einer Woche wimmeln alle Berge von Gendarmen und Bauern. Keine Spur von ihm. Mindestens fünfzig Männer von Aktozlu sind ihm auf den Fersen und die besten Schützen aus fünfzehn anderen Dörfern. Sie finden ihn nicht. Vor einem solchen Mann kann man nur Furcht haben. Es fällt schwer, so einen aus dem Wege zu räumen.«
Abdi Aga wechselte mehrmals die Farbe, dann umklammerte er Ali Safa Beys Hände. »Du mußt mich vor ihm retten, wie auch immer! Wenn nichts geschieht, dann kommt er wieder und brennt die ganze Çukurova nieder!«
»Es wird sehr, sehr schwerfallen, Abdi Aga. Trotzdem, ich will sehen, was ich tun kann, um dem Burschen das Handwerk zu legen. Aber ich hätte da auch noch eine Bitte an dich ... «
»Mein Leben für dich, Ali Safa Bey!« Abdi Aga sprang erregt auf »Verlange von mir, was du willst. Für dich gebe ich mein Leben, Sohn meines Blutsbruders!«
Ali Safa Bey zog ihn an der Hand auf seinen Platz zurück. »Ich danke dir, Aga. Ich wußte, daß du mich schätzt. Aber du darfst nicht glauben, daß ich wegen dieser Sache einen Gegendienst von dir verlangen will. Nein, das darfst du nicht glauben, sonst spreche ich nicht weiter. Ich werde mich um Ince Memed kümmern, aber du sollst nicht denken, ich wollte eine Gegenleistung dafür.«
Mit der gleichen Überschwenglichkeit beteuerte Abdi Aga: »Kein Gedanke daran, bei Allah! Schließlich bist du für mich der liebe Sohn meines Blutsbruders!«
Ali Safa Bey schwieg eine Weile nachdenklich, dann hob er den Kopf, blickte Abdi Aga in die Augen. »Du weißt, Aga, daß ich mich mit einer Menge Sorgen herumschlagen muß. In den letzten Jahren geht es etwas besser, Allah sei Dank. Aber die Sache mit dem Land von Vayvay läßt mich immer noch keinen Schlaf finden.«
»Ich weiß Bescheid«, sagte Abdi Aga eifrig. »Der ganze Boden von Vayvay hat deinem Vater gehört. Dein Vater hat ihn bestellt und dort geerntet. Als er starb, gingst du zur Schule. Die Bauern von Vayvay haben sich das zunutze gemacht und angefangen, den Boden zu bearbeiten. Habe ich dir nicht schon immer gesagt, daß dir nach dem Grundbuch der ganze Boden von Vayvay zukommt? Dafür stehe ich gerade und die Leute in meinen fünf Dörfern auch. Auch die von Aktozlu. Überlasse die ganze Landangelegenheit nur mir. In etwa einem halben Jahr hast du die Vayvay-Felder.«
»Aber nun glaube nicht etwa, das sollte eine Gegenleistung sein, Aga ... «
»Nein, nein«, schüttelte Abdi Aga den Kopf, »es ist schon in Ordnung.«
»Ich habe sie ja schon alle aus dem Dorf vertrieben, sie trauen sich vor Angst nicht mehr hin. Aber trotzdem wollen sie den Anspruch nicht aufgeben.«
»Das überlaß nur Onkel Abdi Aga. In solchen Sachen kenne ich mich aus. Du wirst schon sehen, wie gut ich damit fertig werde.«
»In einer Woche kommt Munition aus Syrien.«
»Und dann?«
»Ich schicke sie Kalaycis Bande.«
Abdi Aga erhob sich. »Zähle nur immer auf Abdi, mein Sohn.«
Ali Safa Bey wünschte, daß der Gast bei ihnen über Nacht bliebe. Aber Abdi Aga hielt es nicht für tunlich, bei ihm zu verweilen. Er sagte sogar: »In diesen Tagen ist es besser, wenn wir vor den Leuten miteinander kein Wort wechseln. Man kann nie wissen ... «
16
Sie wanderten die ganze Nacht
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