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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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hindurch, ohne auch nur einmal haltzumachen, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Außer Atem erreichten sie beim ersten Morgenlicht die Klippen von Akçaçam.
Von oben blickten sie auf die Çukurova-Ebene, die im Dunst gegen die aufgehende Sonne hingebreitet lag. Als sich der Nebel allmählich teilte, erschienen nach und nach Dörfer, Straßen, Hügel und die Schlangenlinie des glitzernden Flusses. Es wurde Vormittag, und über der Ebene waren die letzten Dunstspuren verschwunden. Die Landschaft schimmerte unter ihnen in der Sonne; jeder Baum, jeder Stein war zu unterscheiden. Die bunten Flecken der Äcker, schwarz, rot und grau, lagen zum Greifen nahe.
Cabbar brach als erster das Schweigen. »Schau nur, dort unten waren wir gestern abend.«
»Ja.«
Memed sah sich nicht um. Cabbar wußte nicht, was er mit Memeds starrer Teilnahmslosigkeit anfangen sollte. Vergebens versuchte er, ebenso wortkarg zu sein.
»Siehst du den schwarzen Fleck unterhalb Anavarza? Das ist das Ried. Und dort sind die Sümpfe von Ağcasaz ... Schau nur, über Aktozlu steigen immer noch die Rauchwolken hoch! Kannst du es erkennen?«
»Ja, ja, ich sehe schon«, gab Memed apathisch zurück, mit gesenktem Kopf.
»Was ist mit dir los, Memed? Du brütest so vor dich hin ... «
»Ach, ich muß immerfort an den Gottlosen denken, ob er wirklich verbrannt ist. Und was soll nur aus den armen Leuten von Aktozlu werden? Die haben dieses Schicksal nicht verdient. Es läßt mir keine Ruhe.«
»Du mußt das vergessen. Es ist nun mal geschehen ... Jetzt laß uns weiterziehen, bis zu Ümmet dem Blonden. Dort bleiben wir über Nacht. Morgen schlagen wir uns dann in die Berge.«
Memeds Augen begannen plötzlich aufzuleuchten. »Weißt du, was ich mir gerade überlegt habe?«
»Was denn?«
»Ich werde zur Distelplatte gehen und die Ältesten von den fünf Dörfern zusammenrufen. Es gibt keinen Abdi Aga mehr, werde ich ihnen sagen. Eure Ochsen gehören von nun an euch allein, ihr braucht sie mit keinem mehr zu teilen. Auch die Felder sind euer Eigentum, ihr könnt sie bestellen, wie es euch behebt. Solange ich in den Bergen bin, kann euch niemand etwas anhaben. Wenn mir etwas zustoßen sollte, dann müßt ihr euch selbst weiterhelfen ... Dann hole ich alle Bauern zusammen und lasse sie das Distelfeld abbrennen. Vorher soll dort keiner pflügen.«
Cabbar bekam nasse Augen. »Ja, ein Dorf ohne Aga - das wäre einmal eine gute Sache. jeder kann behalten, was er erarbeitet hat ...«
Memed lächelte: »Ja, jeder kann es behalten ... «
»Gewehr bei Fuß halten wir dafür Wache«, sagte Cabbar.
»Aber noch etwas anderes müßten wir tun«, meinte Memed nachdenklich.
»Was denn?« fragte Cabbar gespannt.
»Ach, ich weiß es noch nicht genau, Bruder. Aber es muß etwas geschehen ... Mit diesen armen Leuten von Aktozlu, weißt du? Die haben nun unseretwegen kein Dach mehr über dem Kopf.«
Cabbar stand auf. Seine langen Beine und breiten Schultern strafften sich wie Stahldraht, als er sich reckte. Memed tat es ihm nach. Sein abgemagertes Gesicht war von der Sonne dunkel gebrannt, die Haut schien unmittelbar über die Knochen gespannt. In seinem Gesicht war keine Spur von Ermüdung. Sein Gang, seine Worte, jede seiner Bewegungen verrieten Behendigkeit, gesunde Kraft und Stolz. Das Banditenleben hatte einen anderen Menschen aus ihm gemacht.
Sie stiegen den Osthang der Felsen hinab, dem Ziegenpfad folgend.
»Bestimmt sind sie jetzt hinter uns her«, meinte Cabbar.
»Ganz sicher, Cabbar. Deshalb schlagen wir uns in den Wald. Weißt du, seit mir das mit den Feldern in den Sinn gekommen ist, liegt mir wieder etwas am Leben.« Er mußte an den Sergeant denken. »Dieser Sergeant ... «, fuhr er fort, »er ist von dieser Welt gegangen, ohne daß wir erfahren haben, was für ein Mensch er eigentlich war. Noch im Tode wollte er uns helfen. Und doch hat es ihn gefreut, daß er das Dorf in Flammen gesetzt hat. Ich habe diesen Mann nie begreifen können. Einmal konnte er zu jedermann freundlich sein, ein andermal war er feindselig gegen alle. Das Dorf brannte, und er freute sich darüber. Und doch ist mir, als würde er sich auch darüber freuen, wenn wir den Bauern Gutes tun würden.«
Cabbar hob witternd die Nase in die Luft, sog den Duft der Kiefern ein, während er auf einem Stückchen Holz kaute.
»Mir ist so sonderbar zumute«, sagte Memed. »Es wird mir fast schwindlig, wenn ich an die Sache mit den Feldern denke. Ich möchte lachen und weinen zugleich. Was werden bloß unsere

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