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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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ihn. Für sie war er kein Mann.
Seit Tagen war die Çukurova voller Unruhe. Ince Memeds Name war in aller Munde, er hatte fast legendären Klang, seitdem das Dorf Aktozlu abgebrannt war. Die Neugierigen, die nach Aktozlu kamen, weil sie die Stätte der Verwüstung mit eigenen Augen sehen wollten, waren nicht mehr zu zählen. Frauen und Kinder konnten sich nicht genug tun, den Leuten aus den Nachbardörfern Ince Memed so zu beschreiben, wie sie ihn gesehen zu haben glaubten: »Er war ein Riese, furchtbar anzuschauen. Einen gewaltigen Fichtenstamm hat er in Brand gesteckt und ist damit von Haus zu Haus gelaufen. Wenn das Feuer irgendwo verlöschen wollte, dann ist er sofort gekommen und hat es wieder angesteckt. Ihr hättet ihn nur sehen sollen! Seine Augen haben Funken gesprüht in der Nacht ... Einmal ist er in die Höhe geschnellt wie eine Pappel, dann ist er wieder zusammengeschrumpft. Und keine Kugel konnte ihm etwas anhaben!«
Überall in den Dörfern wurden solche Geschichten über ihn erzählt, und überall wurden sie wieder anders ausgeschmückt. Der Verzinner konnte sich keinen schöneren Auftrag wünschen, als Ali Safa Bey von ihm verlangte, Ince Memed zu beseitigen. Es war in der Höhle, in der sie sich in Abständen trafen, in der Höhle auf dem Weinberg des Dorflehrers.
Der Bandenführer war schlau genug, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen. »Das wird sehr schwierig sein, Ali Safa Bey. So ein Kerl läßt sich nicht einfach überrumpeln.«
»Ince Memed ist in der Çukurova so berühmt geworden, daß der, der ihn zur Strecke bringt, noch berühmter wird. Solch eine Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder! Und dann denke daran: Wenn du Memed aus dem Weg räumst, gehört die Çukurova uns.«
»Das ist kein Kinderspiel«, sagte der Verzinner.
Ali Safa Bey schlug ihm ermunternd auf die Schulter. »Es wird schon ordentlich was dabei herausspringen, darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
»Leicht ist es nicht«, seufzte der Verzinner, »aber ich will mal sehen, vielleicht kriegen wir es doch irgendwie hin.«
»Das mußt du! Tollkühn mag er ja sein, aber er ist ein Neuling. Er weiß noch nicht, was die Berge alles in sich haben. Du läßt ihn in eine schöne Falle laufen, und fertig ist die Sache.«
»Na, mal sehen.«
Als er sich von Ali Safa Bey verabschiedete und zu seinen Kumpeln kam, verkündete er: »Wir haben einen Auftrag, bei dem ziemlich viel herausspringt, außerdem ist er nicht zu schwer.«
Seine Kumpane schauten ihn erwartungsvoll an.
»Ein Kerl namens Ince Memed ist auf der Bildfläche erschienen, jener, der das Dorf Aktozlu in Brand gesteckt hatte. Ihn werden wir um die Ecke bringen. Dabei springt viel heraus, soviel, wie ihr nur wollt.« Seit der Verzinner in die Berge gegangen war, hatte er drei andere Banden vernichtet. Die Zahl der Menschenleben, die er auf dem Gewissen hatte, war mit Bekir Efendi auf über vierzig angestiegen. So hieß es jedenfalls.
Ince Memed umzulegen, war für die Bande des Verzinners ein Kinderspiel. Osman der Verzinner war von kleiner Gestalt. Seine eigenartig kalt und tot wirkenden Augen hatten das Grün einer Schlange. Manchmal spielten sie ins Graue. Spärliche blonde Barthaare umrahmten sein Gesicht wie die Stacheln eines Igels. Sein dünner Hals, der immer rot war wie ein gesottener Krebs, paßte überhaupt nicht zu den breiten Schultern. Die ganze Gestalt war mit silberverzierten, glitzernden Patronengurten drapiert. Rings um den Gürtel steckten Pistolen mit Perlmuttgriffen, Dolche und zweischneidige Messer. Auf der Brust trug er einen Feldstecher. Er war weder tapfer noch wagemutig, aber verschlagen. Er hatte noch niemals Auge in Auge mit einem Gegner gekämpft.
Wenn der Verzinner Ali Safa Beys Werkzeug war, so traf in einem gewissen Grade auch das Umgekehrte zu. Bis jetzt war er nur ein-, zweimal mit den Gendarmen in Berührung gekommen. Sobald sie zu seiner Verfolgung ansetzten, ließ Ali Safa Bey ihn warnen. Im Winter führte er in einem eigens für ihn hergerichteten Zimmer im Hause des Beys ein großartiges Leben. Nur wenn es ihm dort zu langweilig wurde, ging er in die Berge und zog mit seiner Bande los. Seine Spießgesellen hatten es auch nicht schlecht. Wenn der Schnee kam, bezogen sie ihr Winterquartier in einem hochgelegenen, unzugänglichen Bergdorf und ließen es sich alle Tage bei gebratenem Lamm wohl sein. Dieses freie Herrenleben hatten sie nur Ali Safa Bey zu verdanken. Kein Wunder, daß der Verzinner sich auf Geheiß seines

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