Memed mein Falke
Waffe«, sagte Memed mit Entschiedenheit.
»Die Ochsen auch?«
Die alte Frau ließ Memeds Hände los und trat in eine dunkle Ecke. Dort schluchzte sie vor sich hin. An der verrußten Wand zog eine Spinne ihr Netz.
Memed hob den Blick nicht. »Jawohl!«
Durmuş Ali ging hinaus. Draußen zögerte er, kehrte wieder um, sah in Memeds Gesicht, aus dem steinerne Entschlossenheit sprach.
»Wen soll ich denn rufen, mein Sohn?«
»Die du für die Vernünftigsten hältst.«
»Jawohl ... «
Zuerst trat er bei Hösük der Runkelrübe ein, setzte ihm die Sache auseinander. Hösük wußte nicht recht, was er dazu sagen sollte. Ebenso ging es ihm mit allen anderen Männern, die er aufsuchte; nach der ersten freudigen Überraschung wurden sie nachdenklich. Was Memed vorhatte, war etwas so Unerhörtes, daß sie zunächst nicht daran glauben konnten.
Überall im Dorf sammelten sich kleine Gruppen von Männern, Frauen und Kindern vor den Häusern. Sie sprachen untereinander, aber sie sahen sich dabei nicht an. Dann zogen sie, erfüllt von zaghafter Hoffnung, schweigend und erregt von Haus zu Haus. Als sie schließlich alle vor Durmuş Alis Tür standen, drang kein Laut aus der Menge. Selbst die kleinsten Kinder waren still.
Memed hatte das Geräusch der vielen Schritte gehört. »Was gibt es denn da draußen, Mutter?« fragte er Durmuş Alis Frau. Die Alte wischte sich die Tränen ab. »Das ganze Dorf hat sich um das Haus versammelt. Alle starren sie auf die Tür. Ich weiß nicht, was sie wollen.«
Sie ging hinaus. Wie eine erdrückende Last spürte sie die Blicke der Menge auf sich. »Was wollt ihr hier?« rief sie gereizt, »was steht ihr alle hier herum?«
Niemand antwortete ihr.
»Allah soll euch strafen! Feiern solltet ihr, lachen und tanzen, statt dazustehen wie Steinblöcke - habt ihr nicht gehört, daß Ince Memed den Aga lebendig verbrannt hat?«
Langsam kam Bewegung in die Menge.
»Ja, bei lebendigem Leibe geröstet hat er ihn ... Und ganz Aktozlu in Schutt und Asche gelegt ... Wißt ihr das vielleicht nicht? Gestern ist er zu uns gekommen. Hier ist er jetzt. Nur für Abdi Aga zu arbeiten, damit hat es jetzt ein Ende. Die Felder gehören uns. Und auch die Ochsen sind unser ... «
Die Menschenansammlung belebte sich. Erst lief ein Murmeln über sie hin. Dann wurden die Stimmen immer lauter. Alle sprachen gleichzeitig. Mit einem Mal erfüllte ein ohrenbetäubender Lärm das Dorf. Hunde und Hähne stimmten ein. Hühner flogen aufgescheucht hin und her, Kinder heulten, Esel schrien, Pferde wieherten ... So war es in Değirmenoluk bisher noch nie hergegangen.
Bald darauf war das ganze Dorf von einer Staubwolke eingehüllt. Freudenschreie erklangen, Flöten und Trommeln begannen ihr fröhliches Spiel, muntere Lieder wurden gesungen. »Unser Ince Memed, das ist ein Kerl!«
»Ja, unser Ince Memed! Es war schon immer zu erwarten, daß etwas Besonderes aus ihm werden wird.«
»Schon immer war das zu erwarten ... «
»Die Ochsen gehören uns!«
»Jeder wird sein Feld bestellen, wie er will. Nicht mehr zwei Drittel hergeben müssen.«
»Nicht mehr zwei Drittel hergeben müssen ... «
»Ein für allemal Schluß mit dem Hunger den ganzen Winter über.«
»Schluß mit dem Betteln wie ein Hund.«
»Das ist unser Ince Memed!«
»Die Kühe werden nicht mehr verkauft!«
»Keine Tyrannei mehr!«
»Jeder kann gehen, wohin er will.«
»Jeder darf jetzt sogar Gäste im Haus haben ... «
»Wer es immer auch sei.«
»Jeder ist sein eigener Herr!«
»Ja, unser Ince Memed!«
»Lebendigen Leibes verbrannt ... «
»Zusammen mit Abdi Aga das ganze Dorf ... «
»Lebendigen Leibes verbrannt ... «
»Unser Ince Memed!«
»Lebendigen Leibes ... «
»Er wird auch noch Hatçe aus dem Gefängnis holen!«
»Dann feiern alle fünf Dörfer die Hochzeit mit ... «
»Unser Ince Memed!«
»Memeds Hochzeit ... «
Zwei Tage und zwei Nächte lärmten Flöten und Trommeln ohne Unterlaß. Auch die vier Nachbardörfer waren im Freudentaumel, die dumpfen Paukenschläge hallten über die Ebene nach Değirmenoluk hinüber. Nachts lag die Distelplatte im Lichtschein. Selbst die Erde und das Wasser, die Steine und die Bäume schienen an der Ausgelassenheit teilzunehmen.
Aus den fünf Dörfern trafen die Männer, auf die es ankam, in Durmuş Alis Haus mit Memed zusammen. Die Blicke, mit denen sie ihn ansahen, waren mißtrauisch und liebevoll, furchtsam und dankbar. Am zweiten Abend teilte Memed seinen Lieblingsplan mit:
»Agas, manche unter euch haben mit dem Pflügen angefangen.
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