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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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beruhigte er ihn, »für ihn gibt es kein Entfliehen. Kein Entfliehen. Wenn nicht heute, dann morgen ... «
Durmuş Alis Frau stieß einen Schrei aus, dann trat sie in einen dunklen Winkel, begann sich unter lautem Jammern an die Brust zu schlagen. »Muß dieses Unheil noch über mich kommen! O weh, o weh!«
Bald hatte das ganze Dorf die Nachricht gehört. Alle verkrochen sich in ihre Häuser. Nichts blieb von der geräuschvollen Fröhlichkeit. Değirmenoluk lag wie ausgestorben da. Selbst das Hundegebell und das Krähen der Hähne war verstummt. Kein lebendes Wesen machte sich mehr bemerkbar. Ein ganzes Dorf, eben noch überschäumend von geräuschvoller Lebensfreude, schien plötzlich in ein fremdes Land ausgewandert zu sein.
Bis zum Nachmittag hielt die lähmende Stille an. Durmuş Ali saß in sich zusammengesunken da, den Kopf zwischen den alten Schultern vergraben. Seine Frau kauerte bleich und mit eingesunkenen Wangen in einer Ecke. Memed grübelte, den Kopf auf den Gewehrkolben gestützt, mit gerunzelter Stirn vor sich hin.
Dann regten sich wieder Lebenszeichen. Zuerst stieg ein Hahn auf einen Misthaufen, schlug mit den buntglänzenden Federn und krähte. Die Hunde begannen zu bellen. Schließlich verließen die Menschen ihre Behausungen. Hier und da bildeten sich kleine Gruppen. Ein dumpfes Gemurmel setzte ein, schwoll an, durchlief das Dorf von einem Ende zum anderen. »Er denkt, er sei ein großer Mann.«
»Ince Memed kommt vom Berg und denkt, er sei ein großer Mann ...«
»Wer ist er denn? Der Sohn des armseligen Ibrahim!«
»Hält sich für einen Helden, wenn er die Felder von unserem Aga verteilt ...«
»So ein Däumling!«
»Wer ihn sieht, glaubt, er habe ein Kind vor sich.«
»Ein Trottel!«
»Nicht einmal das Gewehr kann er tragen.«
»Er spielt Bandit ...«
»Glaubt, er kann Bandit spielen und Dörfer in Brand stecken ... «
»Und erfrecht sich, die Felder und Ochsen von unserem Abdi Aga zu verteilen, als ob sie seinem Vater gehörten ... «
»Ein großer Mann will er sein ... «
»Wie ein Hund hat er vor des Agas Schwelle gelegen!«
»Bis gestern noch ... «
»Der vertrottelte Sohn des armseligen Ibrahim!«
»Ein Angeber!« »Vertrotteltes Schwein!«
»Das Mädchen eines andern verfault seinetwegen im Kerker ... «
»Verfault im Kerker ... «
»Stell dir das nur vor!«
»Er ließ die Distelplatte niederbrennen, nur damit wir die Füße nicht zerkratzen, wenn wir pflügen.«
»Die Füße nicht zerkratzen!«
»Kommt hierher und rühmt sich, Abdi getötet zu haben!«
»Unseren Aga ... «
»Ha, unser Aga! Der streckt hundert solcher Schurken auf einmal nieder!«
»Unser Aga ... «
Eine Menschenmenge strömte in Abdi Agas Hof, um die Frauen und Kinder ihres Herrn zu seiner Errettung zu beglückwünschen. Die Unruhe dauerte bis Mitternacht an. Mehr als die Hälfte der Bauern war auf Memeds Seite. Sie hatten ihre Häuser nicht verlassen. Durmuş Ali war mehr tot als lebendig. Seine Frau hatte sich niederlegen müssen. Keine Macht der Welt brachte sie mehr dazu, den Mund aufzutun. Auch Memed war so stumm, als hätte er die Sprache verloren. Nur Cabbar war unverändert. Er gab sich alle Mühe, auf die Bauern einzuwirken, und predigte ihnen: »Abdi Aga kann sich nie mehr hier im Dorf blicken lassen. Ihn braucht ihr nicht mehr zu fürchten. Über kurz oder lang muß er doch sterben. Bei Allah, er wird nicht mehr lange leben. Seid nicht so mutlos, ich sage euch doch, er wird sterben!«
Niemand hörte auf ihn.
Sie verließen Durmuş Alis Haus vor Tagesanbruch. Memed hob den Kopf nicht vom Boden. Er strauchelte beim Gehen. Cabbar schnitt langsam und stumm neben ihm. Am Dorfausgang wurden sie von ein paar Hunden angebellt. Memed schien es nicht zu bemerken. Cabbar bewarf sie mit Steinen. Von den Graudisteln war nichts mehr übrig.
Nackt, aufgebrochen und mit schwarzer Asche bedeckt, lag die Erde da.
Memed stand mitten in der Ebene. Cabbar hatte nicht den Mut, ihn anzusprechen. Er wartete ab. Memed stand wie angewurzelt. Dann ging Cabbar zu einem Felsen hinüber, um sich dort niederzulassen. Sein Gewehr lag ihm auf dem Schoß. Es dämmerte. Memed rührte sich noch immer nicht vom Fleck. Sein Schatten fiel in Richtung des Dorfes. Es war Vesperzeit. Memed regte sich auch jetzt noch nicht.
Cabbar konnte es nicht mehr aushalten, lief zu Memed und schüttelte ihn. »Was ist mit dir, Bruder Memed?« fragte er.
In Memed kam plötzlich Leben. Er blinzelte, als sei er eben aufgewacht.
»Mach dir nichts draus, Bruder

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