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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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hatte, brachte Horali unter die große Kiefer. Cabbar umarmte ihn freudig. »Wie froh ich bin, daß du deine Verwundung überstanden hast, Horali! Wo steckst du denn jetzt?«
Memed war blitzschnell vom Baum herabgeglitten. »Willkommen, Bruder Horali! Wir haben oft gedacht, was du jetzt wohl machen würdest.«
Auf solch einen freundschaftlichen Empfang war Horali nicht vorbereitet. »Ach, nichts weiter ... «, stammelte er verlegen. »In der Bande des Verzinners bin ich jetzt. Nach Durdus Tod bin ich zu ihm übergewechselt. Wir streifen wie immer durch die Gegend. Was soll es sonst schon geben? So steht es nun mal im großen Buch geschrieben. Ein anderes Geschick ist uns nicht beschieden ... «
Cabbar lachte. »Was ist los mit dir, Horali? So trübsinnig kennt man dich ja gar nicht.«
»Ach, frage nicht«, seufzte Horali.
Die drei setzten sich, an die Baumstämme gelehnt. Horali blickte suchend umher. »Wo ist denn Sergeant Recep?«
»Mögest du lange leben«, sagte Cabbar. »Er ist an seiner Verwundung gestorben.«
»Armer Sergeant ... Ja, so ist der Lauf der Welt!«
»Was für eine trügerische Welt. Ein Haufen schwarzer Erde ist alles, was davon bleibt.« Cabbars Worte klangen bitter.
Memed erwachte aus seinen Gedanken. »Von der Sache mit Durdu dem Tollen haben wir gehört. Erzähl doch mal, wie es zugegangen ist. Du warst doch dabei.«
»Ach, frage nur nicht danach, Bruder Memed. Ewig schade um all die prächtigen Burschen. Ein Jammer ist es ... «
»Nun verrate uns schon, wie es war«, drängte Cabbar, »erzähle!«
»Nachdem ihr fort wart, ist es mit Durdu dem Tollen immer schlimmer geworden. Wir haben sogar Frauen aus den Dörfern verschleppt und uns in den Bergen unseren Spaß mit ihnen gemacht.«
»Dann wundert mich nichts mehr«, meinte Cabbar. »Wenn ein Bandit erst damit anfängt, dann ist er verloren.«
»Ach, wenn es nur das gewesen wäre ... «
»Was denn noch?«
»Er hat Tribut von den Dörfern eingetrieben. Jedes Haus mußte ihm eine Abgabe zahlen. Die Reichen viel, die Armen weniger ... «
»Das ist schon eine böse Sache«, sagte Cabbar. »Und was dann?«
»Ja, dann ... Laß es mich der Reihe nach erzählen, Bruder. Eines Tages sind wir nach Aksöğüt gezogen. Wir haben die Männer in ihren Häusern eingeschlossen und die Frauen aus den Häusern geholt und auf den Dorfplatz geführt. Alle, auch die alten Weiber. Dann mußten sie vor uns den Bauchtanz aufführen. Wie Schafe haben sich die armen Geschöpfe zitternd aneinandergedrängt. Ein paar von ihnen fingen vor lauter Angst wirklich ein bißchen an zu tanzen.
Ich weiß bis jetzt noch nicht, wie alles gekommen ist, aber auf einmal war alles eine Wolke von Staub und Dampf. Von Durdu dem Tollen war nichts mehr zu sehen. Ich habe mich auf einem Dach wiedergefunden ... Mein Gewehr war nicht mehr da. Vielleicht eine halbe Stunde lang war alles unter der Staubwolke, dann wurde die Sicht wieder klar. Die Menge drängte sich auf dem Platz. Dann bin ich von dem Dach heruntergeklettert, am ganzen Leib zitternd. Ich weiß heute noch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich bin stehengeblieben und habe die Leute angestarrt. Die Menge hat sich dann langsam verlaufen. Vielleicht haben mich doch welche gesehen, aber sie waren nicht mehr fähig, irgend etwas zu unternehmen. Schließlich war der Platz leer. Es waren auch keine Leichen zu sehen. Von Durdu und den anderen war nichts mehr übriggeblieben. Ein paar Gewehrstöcke und einen von Durdus Stiefeln habe ich im Staub liegen sehen, sonst nichts ... Ja, so ist es gewesen. Sobald ich meine fünf Sinne wieder beisammen hatte, bin ich von dort geflohen, so weit meine Füße mich getragen haben ... «
»So war es also?« staunte Cabbar. »Die Leute haben es ganz anders erzählt.«
»So etwas mußte ja kommen«, sagte Memed. »Und er hat es ganz genau gewußt. Deswegen war ihm alles gleichgültig.«
»Na, mit dem Verzinner ist es auch nicht viel anders«, meinte Cabbar.
»Der ist nicht wie Durdu der Tolle«, sagte Horali, »er trägt seine Haut nicht so leicht zu Markte. Dazu ist er zu feige und hinterlistig.«
»Höre auf mich, Bruder! Mit dem wird es genauso ein Ende nehmen. Du tätest besser daran, dich von ihm fernzuhalten. Bis jetzt hast du Glück gehabt. Es würde mir um dich leid tun.« Memed schien bei Cabbars warnenden Worten seinen eigenen Gedanken nachzugeben. Aber plötzlich wandte er sich um und faßte Horalis Hand. »Mir täte es auch leid, Horali! Sag mal, warum bist du eigentlich zu uns gekommen?

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