Memed mein Falke
Hast du eine Nachricht für uns, oder was sonst?«
Horali sah die beiden eine Weile ratlos an, dann ließ er den Kopf sinken, er wurde abwechselnd rot und bleich. Schließlich überstürzten sich seine Worte. »Der Verzinner lädt euch zu sich ein. Er ist sehr begierig, Ince Memed kennenzulernen. Ich habe gesagt, daß ich dich kenne, und habe dich bei ihm herausgestrichen. ‚Ich will ihn suchen, meinen Freund, und zu dir bringen', habe ich gesagt. Lange genug habe ich nach euch suchen müssen.«
Memed und Cabbar wechselten einen schnellen Blick. »Dahinter steckt etwas«, wollten sie damit andeuten. »Und was will der Verzinner sonst noch von uns?« fragte Cabbar.
»Ich habe Bruder Memed doch so gelobt bei ihm«, antwortete Horali unsicher, »da hat er mir aufgetragen, ihn zu finden und zu ihm zu bringen.«
»Das war schön von dir, Bruder Horali«, sagte Memed, »ich danke dir dafür.«
Cabbar warf ihm wütende Blicke zu.
Memed ließ sich nicht beirren. »Ja, dann wollen wir uns aufmachen, Brüder. Ich habe mir ja auch schon immer gewünscht, ihn kennenzulernen. Wo erwartet er uns?«
»Auf dem Konurdağ.«
»Gut. Wenn ich seine Einladung ausschlagen will, wessen Einladung soll ich dann annehmen?«
Cabbar war verblüfft. Er zog den Mann, der Horali geführt hatte, beiseite. »Sag mal, wie hat dieser Bursche dich gefunden?«
»Er hat alle Leute so lange ausgefragt, bis sie ihn zu mir gebracht haben. ‚Ich gehöre zu Ince Memeds Bande', hat er gesagt. ‚Wir sind auseinandergekommen. Führe mich zu ihm.' Und das habe ich getan, nachdem er nicht aufgehört hat zu fragen.«
»Gut, du kannst jetzt gehen.«
Es war weit bis zum Konurdağ. Mehr als ein Tagesmarsch. Der Mann aus dem Dorf blickte ein paarmal zurück, als er sich entfernte.
»Bruder Hüseyin«, rief Memed hinter ihm her, »wir kommen in ein paar Tagen zurück. Glück auf den Weg und vielen Dank dafür, daß du unseren Freund hergebracht hast!«
»Auf bald also!« antwortete der Mann.
Gegen Mittag erreichten sie Siringaç. Bei Einbruch der Dunkelheit waren sie bis zum Keşiş-Fluß gekommen. Dort holten sie sich in einem Dorf zu essen und zogen nach ein paar Stunden weiter. Als der neue Tag anbrach, waren sie bei Akkale. Dort tranken sie aus einer moosüberwachsenen Quelle. Auf dem ganzen Weg ging Memed voran, Horali in der Mitte und Cabbar hinterdrein.
Als sie den weißen Hügel über Akkale erklommen, auf dem sie schlafen wollten, blieb Horali ein ganzes Stück zurück. Cabbar machte sich das zunutze. »Memed! Weißt du eigentlich, was hier gespielt wird, Bruder?«
»Ja, ich weiß es«, lächelte Memed.
»Warum gehen wir dann?«
»Verstehst du denn nicht, Bruder? Er schickt einen Mann nach mir aus, um mich in eine Falle zu locken. Einen, der mich kennt ... Er lädt mich ein. Kann ich es ablehnen? Dann sagt er, ich hätte Furcht. Er glaubt, daß er mir eine Falle gestellt hat ... «
»Und wir gehen auch hinein. Mit offenen Augen. Das sind zehn Mann, Memed!«
»Und wenn es hundert wären. Wir haben keine andere Möglichkeit.«
»Dann laß uns Horali erledigen!«
»Das geht nicht. Erst muß ich mit dem Verzinner zusammentreffen und sehen, was er für ein Mann ist.«
»Nun gut. Lassen wir es darauf ankommen.«
Da sagte Memed: »Schau dir Horalis Gesicht an. Von Minute zu Minute wechselt es die Farbe. Das Gesicht eines Menschen, den die Reue plagt. Er bereut das, was er tut ... Ich spüre, daß er uns bald unter Tränen alles gestehen wird. Ob er uns wohl ein einziges Mal ins Gesicht sehen kann? Vielleicht betet er schon innerlich darum, daß wir nicht zum Verzinner gehen. Schau ihm mal ins Auge, wenn er kommt.«
In diesem Augenblick holte Horali sie ein. Die beiden brachen ihr Gespräch ab.
Memed klopfte ihm sanft auf die Schulter. »Nun, Horali, so ist das also!«
Mit zitternden Lippen entgegnete Horali: »Ja, so ist das.« Er torkelte wie ein Betrunkener.
Auf dem Hügel standen einige uralte Walnußbäume. Sie traten in ihren Schatten ein.
»Legt euch aufs Ohr und schlaft«, sagte Cabbar. »Ich halte Wache.«
Sie legten sich hin und schliefen. Sie lösten sich bei der Wache ab und schliefen dann wieder. Als sie die Augen aufschlugen, zog der Abend herauf.
Von Akkale aus liefen sie hinüber in den Osten von Andirin. Der Weg war felsig. Sie gelangten zu einem Kiefernwald, durch den sich auch ein Tiger keinen Weg hätte bahnen können. Es duftete nach Kiefern, wildem Pfefferminz und Poleiminze. Das Geräusch rauschenden Wassers erfüllte die Stille. Eine
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