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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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darüber dachten sie nicht lange nach; sie sahen nur, daß ihr verhaßter Feind endlich in seine Schranken verwiesen worden war. Zwei Jahre lang hatten sie es aus Furcht vor dem Verzinner nicht gewagt, einen Fuß aus ihrem Dorf zu setzen. Ali Safa Bey hatte leichtes Spiel dabei gehabt, ihnen ein Feld nach dem anderen wegzunehmen. In die Kreisstadt zu gehen und dort ihre Sache zu vertreten, war ihnen unmöglich gemacht.
Osman der Mächtige saß auf der steinernen Brunnenplatte in der Mitte des Dorfplatzes. »Ince Memed mein Falke!« rief er ein ums andere Mal aus.
Osman der Mächtige war ein schmächtiger Achtzigjähriger von kleiner Gestalt, mit einem dürftigen, nur aus einem Dutzend weißer Haare bestehenden Kinnbart und schräggestellten grünen Augen. Seine zehn erwachsenen Söhne waren mit den anderen Bauern um ihn versammelt. Alle warteten achtungsvoll auf das, was er sagen würde.
»Ince Memed, mein Falke!« wiederholte der Greis noch einmal, dann erhob er sich. »Mein Falke plündert die Leute nicht aus, was meint ihr?«
»Würde Ince Memed so etwas tun?« kam es von den anderen.
»Bringt mein Pferd heraus, Söhne! Und ihr, Freunde, sammelt Geld unter euch. Ich will zu meinem Falken. Er hat Geld nötig, da oben in den Bergen. Jeder soll geben, soviel er kann.«
Als der Tau auf der Çukurova-Erde im Licht des neuen Tages als Dampf in die Luft stieg, lenkte Osman der Mächtige sein Pferd in die Richtung der in bläulichem Nebel schimmernden Taurusberge.
Nach drei Tagen stieg er, vor Erschöpfung fast ohnmächtig, in Değirmenoluk aus dem Sattel. Mit schleppenden Schnitten ging er, das schaumbedeckte Pferd hinter sich herziehend, durch das Dorf. Die Kinder unterbrachen ihr Spiel und starrten auf den fremden alten Mann, der atemholend stehengeblieben war.
»Kommt doch mal her, Kinder!« rief Osman der Mächtige ihnen zu. »Sagt, wo ist Gül Alis Haus?«
Der vorwitzigste der Knaben antwortete: »Gül Ali? Der ist doch schon lange, lange tot! Da war ich noch gar nicht auf der Welt ... «
»Und Ince Memeds Haus?«
»Na, Onkel, hör mal!« sagte der beherzte Bursche im Ton der Entrüstung. »Weißt du denn nicht, daß Ince Memed jetzt ein Bandit ist?«
»Wie kann ich das wissen, mein Sohn? Ich komme aus der Çukurova. Hat Ince Memed denn keine Angehörigen, Mutter oder Vater?«
Der Knabe schüttelte den Kopf.
»Bei wem bleibt er denn, wenn er ins Dorf kommt?«
»Bei Onkel Durmuş Ali!«
»Also Ince Memed ist Bandit geworden, sagst du?«
»O ja. Er ist ins Dorf gekommen, hat gesagt, daß er unseren Aga totgemacht hat, und dann hat er alle Felder verteilt, als wären sie von seinem Vater, und das Graudistelfeld hat er abbrennen lassen. Unser Aga läßt ihn töten. Hier im Dorf will keiner etwas von ihm wissen, nur die Frau von Onkel Durmuş Ali. Aber unser Aga wird sie auch aus dem Dorf jagen.«
»Wo ist denn Durmuş Alis Haus, mein Sohn?«
»Das dort!« Das Kind machte ein Zeichen mit dem Kopf.
Osman der Mächtige zerrte sein Pferd weiter. Vor Durmuş Alis Haus rief er: »Ein Gast Allahs!«
Notdürftig gekleidet erschien der vom Alter gebeugte Durmuş Ali in der Tür. Sein schneeweißer Bart schien bis an die Knie zu reichen. »Willkommen, Gottesgast«, begrüßte er den Fremden, dann führte er das Pferd in den Stall.
Drinnen brannte ein großes Feuer. Es roch nach Stroh, Teig und getrocknetem Kuhmist. Durmuş Ali kam zurück und setzte sich seinem Gast gegenüber. »Grüß Gott!« Er schob ihm seine große, rostige Tabaksdose hin.
Osman der Mächtige neigte sich zu ihm. »Komm etwas näher, ich will dich etwas fragen: Weißt du etwas von Ince Memed? Wo ist er jetzt wohl zu finden?«
Sein ängstliches Flüstern ließ Durmuş Ali dröhnend auflachen: »Hier kannst du ruhig laut reden, wenn du etwas von Ince Memed wissen willst.«
»Ince Memed ist mein Falke. Ich bin hierhergekommen, um ihn zu suchen.« Er erzählte umständlich, was ihn zu Memed führe. Inzwischen hatte sich auch Durmuş Alis Frau eingefunden und hörte mit.
»Ince Memed ist mein Falke.« Mit diesen Worten, die Balsam auf der Zunge Osmans des Mächtigen waren, schloß er auch seine lange Rede.
»Er ist auch unser Falke«, sagte Durmuş Alis Frau. »Ihr werdet sehen, es dauert nicht lange, bis er den räudigen Abdi tötet. Dann kommt er und verteilt die Felder. Wenn du wüßtest, Bruder, was diese elenden Bauern meinem Ince Memed alles angetan haben! Aber der Tag wird kommen, an dem ich diesen Undankbaren auf dem Dorfplatz ihre Schande ins Gesicht

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